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Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert

Titel: Der Nussknacker - Reise durch ein Jahrhundert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo
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Argentinier!«, hat mein Vater geflucht. Gut gemacht, Maradona! (Doppel-Grins!)
    Die Schule hat wieder angefangen. Im Moment weiß ich nicht, wo mir der Kopf steht.
    Ich denke an dich, Sandy
    P.S.: Ich kann nicht mit. Es klingt vielleicht blöd, aber meine Mutter braucht mich. Schade.
    3. Dezember
    Liebe Sandra,
    ich halte es hier einfach nicht mehr aus. Nur noch Streit. Mein Vater beschimpft meine Mutter. Meine Mutter meinen Vater. Unddie anderen die anderen. Ich muss hier weg, irgendwie. Wohin, weiß ich nicht, aber das hier hat keine Zukunft für mich.
    Hast du eine Idee?
    Deine Kira
    Sandra schien keine Idee zu haben. Nicht einmal Worte. Und auch Kira schrieb nicht mehr. Was ist los? , fragte ich mich. War die Luft raus? Auf jeden Fall war Sendepause. Langeweile hinterm Querbalken.
    Bis zum Frühjahr.
    16. April
    Liebe Sandra,
    meine Mutter ist weggezogen. Nach Freiburg zu ihrem Freund. Mich hält hier auch nichts mehr. Bei der nächsten Gelegenheit bin ich weg.
    Melde dich doch mal wieder,
    Kira
    Ich bin nun schon ganz schön lange zwischen den Mädchen hin- und hergereicht worden. Unendlich viele Briefe haben mit mir den Besitzer gewechselt. Dazwischen sah ich leider nur die Rückseite des Querbalkens dieser Bushaltestelle. Ich gebe zu, es war ein trostloser Ausblick. Oft habe ich gehofft, dass es bald ein Ende haben möge. Der Tag wird kommen , dachte ich. Und er kam.
    Im Sommer trafen die beiden Mädchen sich wieder. Zumindest war ich dabei. Ich hatte sie schon lange im Verdacht, dass sie sich auch sonst mehrmals getroffen hatten. Ohne mich.
    Es war schon Abend. Die Sonne stand tief am Horizont. Kira war ganz aufgedreht und ging unruhig auf und ab. Sandra saß an der Bushaltestelle auf der Sitzbank und kaute Kaugummi.
    »Ich muss hier weg«, sagte Kira plötzlich.
    »Wie weg?«
    »Weg, einfach weg.« Kira klang frustriert. »Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich will abdüsen, verstehst du? Wie dieser Rust, der sich einfach in ein Flugzeug gesetzt hat und losgeflogen ist.«
    »Du willst nach Moskau?«, kam erstaunt von Sandra.
    »Quatsch. Irgendwohin, wo was los ist.«
    »Aber hier ist doch auch was …« Sandra bemerkte selbst ihr dürftiges Argument und verstummte.
    »Sandy, du weißt ganz genau, dass hier total tote Hose ist.« Kira lachte verächtlich. »Nichts ist hier los, rein gar nichts. Hier darf man nicht mal Fernsehgucken.«
    »Aber Fernsehgucken ist ja auch nicht alles.«
    »Das sagst gerade du, die jeden Tag in die Glotze starrt?«
    »Und deine Mutter?«
    »Meine Mutter! Meine Tante! Mein Vater! Wenn es nach denen ginge, dann ist nichts gut außer Joga, selbst angebautem Gemüse und gestrickten Wollpullovern.«
    Sie lachte wieder, diesmal noch verächtlicher.
    »Tut mir leid«, kam von Sandra.
    »Schon gut.«
    »Was willst du tun?«
    »Weiß nicht.«
    Beide Mädchen dachten nach. Schließlich sagte Sandra: »Die Familie im Haus neben der Bushaltestelle zieht um.«
    »Na und?« Kira verstand nicht, worauf Sandra hinauswollte.
    »Ich weiß zwar nicht genau wohin, aber es heißt, in eine Großstadt.«
    Kira schien nun doch zu verstehen.
    »Ich glaube, nach Frankfurt oder Berlin«, sagte Sandra. »Papa spottet darüber und sagt: ›Da passen die auch besser hin!‹«
    »Wann?«
    »Morgen.«
    »Danke.«
    Sie drückte mich Sandra vor die Brust.
    »Behalt du ihn.«
    »Nein, das ist deiner.«
    »Bis bald.«
    »Bis bald.«
    Sandras Vater kam mit seinem Wagen vorbeigefahren, hielt kurz an und rief aus dem Seitenfenster: »Sandra!«
    »Der kann mich mal!«, flüsterte sie und steckte mich unter ihren Pullover.
    Dann verschwanden wir.

1987, Hamburg, BRD
    Ich lag in einer muffigen Kommode. Die Schublade war einen Spaltbreit offen, sodass ich scheibchenweise einen Ausblick hatte. Sandra hatte mich da hineingesteckt. Die Kommode stand vor dem Haus neben mehreren Schränken, einer Tiefkühltruhe, einigen Regalen und Stühlen, einem Schreibtisch und jeder Menge Schachteln. Es war früh am Morgen. Vögel zwitscherten, und die Sonne kündigte einen strahlend warmen Tag an. Endlich kam der Umzugswagen. Er war so groß, als sollte er das ganze Haus inklusive Innenleben in sich aufnehmen. Muskelbepackte Männer mit dicken Bäuchen und Tätowierungen auf den Armen hoben die Sessel, Tische, Kommoden, Regale, Kisten und Kartons, die Schachteln und Körbe in den Wagen.
    Dann hievten sie einen riesigen Kleiderschrank mit einem vierstimmigen »Hau ruck!« in den Transporter. Zuletzt hoben sie die Kommode, in der ich lag,

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