Der Oligarch
gezogene flache Mütze. Seltsamerweise erwies sich diese primitive Verkleidung als Vorteil für Gabriel. Er hatte unzählige Stunden damit zugebracht, die auf dem Flughafen Heathrow gemachten Überwachungsfotos zu studieren: bruchstückhafte Bilder, die einen Mann mit energischem Kinn zeigten, der sich mit einer Brille und einem weichen Filzhut getarnt hatte. Und es war genau dieser Mann, der mit zwei nicht zusammenpassenden Aktenkoffern an dem Café am Paradeplatz vorbeiging – und der jetzt in die Talstrasse abbog. Gabriel hob unauffällig sein Handgelenkmikrofon an die Lippen und warnte Sarah und Navot, Petrow sei zu ihnen unterwegs. Bevor er den Satz beendet hatte, war Michail schon aufgesprungen und auf dem Weg zum Ausgang. Gabriel ließ zwei Geldscheine auf der Theke zurück und folgte ihm. »Du hast zu zahlen vergessen«, sagte er. »Die Schweizer können sehr unangenehm werden, wenn jemand die Zeche zu prellen versucht.«
Petrow ging zwei Mal an der Bank vorbei, bevor er drei Minuten vor Geschäftsschluss vor dem Eingang stehen blieb. Er klingelte, stellte sich als Otto Wolfe vor und wurde sofort eingelassen. Die Empfangsdame rief sogleich Miss Moore an, die Aushilfssekretärin von Herrn Becker, und wurde angewiesen, den Kunden nach hinten zu schicken. Auf der Talstrasse bezogen vier Männer paarweise unauffällig Position: Jaakow und Oded an einem Ende der Straße, Gabriel und Michail am anderen. Michail summte gelassen vor sich hin. Gabriel dagegen konzentrierte sich ganz auf die Stimme in seinem Ohr, Sarah Bancrofts Stimme, als sie jetzt einen der gefährlichsten Männer der Welt begrüßte. »Wollen Sie nicht Platz nehmen, Herr Wolfe?«, fragte sie in perfektem Deutsch. »Herr Becker ist gleich für Sie da.«
Er stellte die Aktenkoffer neben dem Sessel auf den Teppich, knöpfte sich den Mantel auf und zog die Lederhandschuhe aus. An der linken Hand trug er keinen Ring. Am rechten Ringfinger, an dem gewöhnliche Russen meist einen Ehering tragen, steckte ein schwerer Ring mit einem dunklen Stein. In Amerika hätte man ihn für einen Klassenring oder den Ring eines Truppenteils halten können. Sarah, die an ihrem Schreibtisch saß, zwang sich dazu, ihn nicht anzustarren.
»Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«
»Nein.«
»Möchten Sie etwas trinken? Kaffee oder Tee?«
Er schüttelte den Kopf und blieb sitzen, ohne den Mantel auszuziehen oder die Mütze abzunehmen. »Sie sind nicht Herrn Beckers gewöhnliche Sekretärin.«
»Die ist krank.«
»Hoffentlich nichts Ernsthaftes.«
»Nur eine Grippe.«
»Die grassiert jetzt überall. Sie habe ich hier noch nie gesehen.«
»Ich bin eine Aushilfe.«
»Sie sind keine Schweizerin.«
»Nein, Amerikanerin.«
»Sie sprechen ausgezeichnet Deutsch. Sogar mit leicht schweizerischer Färbung.«
»Ich bin einige Jahre lang in der Schweiz zur Schule gegangen.«
»Aufweiche?«
Bevor Sarah antworten konnte, wurde das Gespräch unterbrochen. Becker erschien an der Tür. Petrow stand auf.
»Ihre Sekretärin wollte mir gerade erzählen, auf welcher Schweizer Schule sie war.«
»Es war die International School in Genf.«
»Die hat einen ausgezeichneten Ruf.« Er streckte ihr die Rechte entgegen. »Es war mit ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Miss …« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
»Moore.« Sarahs Händedruck war kräftig. »Irene Moore.«
Petrow ließ ihre Hand los und ging in Beckers Büro. Eine halbe Minute später waren die Formalitäten erledigt, und die beiden Männer machten sich auf den Weg in den Tresorraum. Sarah gab diese Information durch das auf dem Schreibtisch versteckte Mikrofon an Gabriel weiter, dann griff sie nach unten und zog den Reißverschluss ihrer Umhängetasche auf. Ihre Pistole steckte mit der Mündung nach unten griffbereit darin. Sie sah auf die Uhr und wartete darauf, dass an der Eingangstür geklingelt wurde. Ihre Hand begann an der Stelle zu jucken, wo Petrows Ring sie berührt hatte. Aber dort ist nichts, sagte sie sich. Alles nur Hysterie.
Uzi Navot wartete neben der Tür zum Tresorraum, als Becker von Anton Petrow gefolgt erschien. Die Überwachungsfotos aus Heathrow hatten die tatsächliche Größe des Russen nicht erkennen lassen. Er war weit über einen Meter achtzig groß, breitschultrig und durchtrainiert. Und er war sichtlich nervös. Während er Navot anstarrte, fragte er Becker: »Wo ist der bisherige Wachmann?«
Der Bankier antwortete, ohne zu zögern. »Den mussten wir entlassen. Auf
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