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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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beherrschen. Dann lehnte sie den Kopf ans Seitenfenster und begann zu weinen.
    »Du hast das Richtige getan, Sarah. Du hast Uzi das Leben gerettet.«
    »Ich habe noch nie auf einen Menschen geschossen.«
    »Tatsächlich nicht?«
    »Mach keine Witze, Gabriel. Mir geht’s nicht so gut.«
    »Aber bald wieder.«
    »Wann?«
    »Demnächst.«
    »Ich glaube, ich muss mich übergeben.«
    »Soll ich irgendwo halten?«
    »Nein, fahr weiter.«
    »Sicher?«
    »Nicht unbedingt.«
    »Ich halte mal für alle Fälle.«
    »Das solltest du vielleicht.«
    Gabriel hielt auf dem Standstreifen und kauerte neben Sarah, als sie sich würgend übergab.
    »Ich habe es für dich getan, Gabriel.«
    »Ich weiß, Sarah.«
    »Ich habe es für Chiara getan.«
    »Ich weiß.«
    »Wie lange dauert das?«
    »Nicht lange.«
    »Wie lange, Gabriel?«
    Er rieb Sarahs Rücken, als ihr Körper nochmals von Krämpfen geschüttelt wurde.
    Nicht lange, dachte er, nur für immer.

TEIL IV
D AS A UFERSTEHUNGSTOR

54 N ORDDEUTSCHLAND
    Für jedes sichere Haus gibt es eine Legende. Ein Reisevertreter, der aus dem Koffer lebt und nur selten nach Hause kommt. Ein Paar, das zu viel Geld hat, um es allzu lange am selben Ort auszuhalten. Ein Abenteurer, der als Bergsteiger und Fotograf die Welt bereist. Das sind die Geschichten, die Nachbarn und Vermietern erzählt werden. Das sind die Lügen, mit denen vorübergehende Bewohner und Gäste, die mit dem Schlüssel in der Tasche ankommen, erklärt werden.
    Auch die Villa in der Nähe der dänischen Grenze hatte ihre Geschichte, die allerdings teilweise nicht erfunden war. Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte die Villa einer Familie Rosenthal gehört. Alle Rosenthals waren im Holocaust umgekommen – bis auf eine junge Frau, die Mitte der fünfziger Jahre nach Israel ausgewandert war und ihr Elternhaus dem Dienst vermacht hatte. Die als Anwesen 22XB bezeichnete Villa war das Juwel in der Krone der Hausverwaltung und blieb für die heikelsten und wichtigsten Unternehmen reserviert. Gabriel fand, ein russischer Killer mit zwei Schusswunden, der eine Menge wichtiger Geheimnisse hütete, falle unbedingt in diese Kategorie. Die Hausverwaltung fand das auch. Sie hatte ihm die Schlüssel zugestellt und dafür gesorgt, dass die Speisekammer voll war.
    Das Haus stand hundert Meter von einer selten befahrenen Nebenstraße entfernt – ein einsamer Vorposten auf der kahlen, eintönigen Ebene Westjütlands. Die Zeit hatte ihre Spuren hinterlassen: Der Putz bröckelte, die Fensterläden hingen schief und mussten dringend gestrichen werden, und auf das Dach war kein Verlass, wenn die Winterstürme von der Nordsee heranbrausten. Drinnen sah es ähnlich aus: Staub und Spinnweben, unvollständig möblierte Zimmer, Wasser- und Elektrikleitungen aus vergangenen Zeiten.
    Hier durch die Flure zu streifen, glich einer Reise in die Vergangenheit, vor allem für Gabriel und Eli Lavon. Veteranen des Diensts kannten das Haus als Château Schamron, weil es bei dem Unternehmen »Zorn Gottes« als eines der Planungszentren gedient hatte. Hier waren Männer zum Tode verurteilt, Schicksale besiegelt worden. Im ersten Stock lag das Zimmer, das Gabriel und Lavon sich geteilt hatten. Heute wie damals befand sich darin nichts außer zwei schmalen Betten und einem zerschrammten Nachttisch dazwischen. In der Tür stehend sah Gabriel plötzlich ein Erinnerungsbild vor sich: der Überwacher und der Vollstrecker, die in der Dunkelheit wachlagen – der eine von Stress geplagt, der andere von blutigen Visionen heimgesucht. Das alte Transistorradio, das ihnen das Warten verkürzt hatte, stand noch auf dem Nachttisch. Es war ihr Bindeglied zur Außenwelt gewesen. Es hatte ihnen von gewonnenen und verlorenen Kriegen berichtet, von einem amerikanischen Präsidenten, der in Schimpf und Schande abgedankt hatte, und es hatte in manchen Sommernächten auch Musik gespielt. Musik, wie sie ganz normale junge Männer hörten. Junge Männer, die nicht in Ari Schamrons Auftrag Terroristen liquidierten.
    Gabriel warf die Reisetasche auf sein altes Bett – das am Fenster – und ging wieder die Treppe hinunter in den Keller. Auf dem Steinboden lag Anton Petrow auf dem Rücken, umringt von Uzi, Jaakow und Michail. Er war an Händen und Füßen gefesselt, obwohl das jetzt kaum mehr nötig war. Seine Haut war gespenstisch weiß, seine Stirn schweißnass, sein Unterkiefer an der Stelle angeschwollen, wo Navots Faust ihn getroffen hatte. Der Russe brauchte dringend einen Arzt. Den würde

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