Der Oligarch
dir sicher?«
»Ganz sicher.«
Der Ober servierte Gabriels Kaffee. Navot schob ihm die Schale mit Würfelzucker hin.
»Der Sekretärinnenjob ist also vergeben?«
»Richtig.«
»Und wer soll den Wachmann spielen?«
»Die Sprachanforderungen sind gleich: Englisch, Französisch und Deutsch. Außerdem sollte er ein paar Muskeln haben.«
»Das engt das Feld ziemlich ein: auf dich und mich. Und nachdem außer Zweifel steht, dass Petrow dein Gesicht kennt, darfst du nicht mal in die Nähe dieser Bank kommen.«
»Wenn du nicht …«
»Ich tu’s«, sagte Navot rasch. »Auf mich kannst du dich verlassen.«
»Du bist der stärkste Mann, den ich kenne, Uzi.«
»Nicht stark genug, um russischem Gift zu widerstehen.«
»Du darfst ihm nur nicht die Hand geben. Und denk daran, dass du nicht allein bist. Sobald du Petrow in den Tresorraum lässt, alarmiert Sarah uns, und wir kommen in die Bank. Wenn du die Tür wieder öffnest, um Petrow herauszulassen, wird er mehreren Männern gegenüberstehen.«
»Wohin bringen wir ihn?«
»Durch den Hinterausgang in den Van. Er bekommt eine kleine Spritze, damit er sich auf der langen Autofahrt wohlfühlt.«
Navot musterte seine Kleidung. Wie Gabriel trug er einen Pullover und eine Lederjacke.
»Ich brauche etwas, das seriöser aussieht.« Er fuhr sich mit der Hand übers Kinn. »Außerdem sollte ich mich rasieren.«
»Einkaufen kannst du gleich hier in der Bahnhofstrasse. Aber beeil dich, Uzi. Ich möchte nicht, dass du am ersten Tag zu spät zur Arbeit kommst.«
Veteranen sagen gern, das Leben eines Agenten des Diensts bestehe im Einsatz aus ständigen Reisen und nervtötender Langeweile mit Intermezzos aus panischer Angst. Und dazu kommt das Warten. Warten auf ein Flugzeug oder einen Zug. Warten auf einen Informanten. Warten auf den Sonnenaufgang nach einer Nacht voller Morde. Und auf einen russischen Killer, der sich fünf Millionen aus einem Züricher Bankschließfach holen würde. Für Gabriel war das Warten noch schlimmer wegen der Bilder, die wie eine Gemäldegalerie vor seinem inneren Auge auftauchten. Die Bilder raubten ihm seine angeborene Geduld.
Sie machten ihn ruhelos. Sie ängstigten ihn. Und sie raubten ihm die Gefühlskälte, die Ari Schamron so fasziniert hatte, als Gabriel ein junger Mann von zweiundzwanzig Jahren gewesen war. Du sollst sie nicht hassen, hatte Schamron über die Terroristen des Schwarzen September gesagt, sondern sie nur erledigen, damit sie nicht wieder morden können. Gabriel hatte gehorcht. Er versuchte es auch jetzt, aber er konnte es nicht. Er hasste Iwan Charkow. Er hasste ihn, wie er noch nie einen Mann gehasst hatte.
Der endlos lange Wartetag bot auch unbeschwerte Augenblicke, die fast ausschließlich den beiden Sendern zu verdanken waren, die Navot binnen Minuten nach seinem Eintreffen bei Becker & Puhl installiert hatte. Das Team hörte zu, wie Miss Irene Moore, eine von einer Züricher Zeitarbeitsfirma entsandte attraktive junge Amerikanerin, ihre Arbeit bei Herrn Becker begann. Und Herrn Beckers Diktat aufnahm. Und Herrn Beckers zahllose Komplimente über ihr Aussehen entgegennahm. Und geschickt eine Einladung ablehnte, mit Herrn Becker in einem Restaurant hoch über dem Zürichsee zu dinieren. Das Team belauschte auch, wie Herr Becker und Oskar Lange einige unangenehme Augenblicke damit verbrachten, ihre Bekanntschaft zu erneuern. Und während Herr Becker Herrn Lange darin unterwies, wie die Tresortür geöffnet und geschlossen wurde. Und am Spätnachmittag hörte es, wie Herr Becker Herrn Lange rügte, er habe den Tresorraum nicht rasch genug für Mister al-Hamdali aus Dschidda geöffnet, der an sein Schließfach wollte. Um diese Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen, wies das Team Miss Moore an, Mister al-Hamdalis Kundenakte zu kopieren. Außerdem machte es mehrere Aufnahmen von ihm, als er die Bank verließ.
Eine halbe Stunde später wurden bei Becker & Puhl die Jalousien heruntergelassen und das Licht ausgemacht. Der Wachmann und die Sekretärin wünschten Herrn Becker einen guten Abend und gingen ihrer Wege: Herr Lange nach links in Richtung Bärengasse, Miss Moore nach rechts in Richtung Bleicherweg. Gabriel, der mit Eli Lavon in einem geparkten Wagen saß, machte sich nicht die Mühe, seine Enttäuschung zu verbergen. »Wir kommen morgen wieder«, sagte Lavon tröstend. »Und notfalls auch übermorgen.« Aber er wusste so gut wie Gabriel, dass ihre Zeit begrenzt war. Charkow hatte ihnen nur
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