Der Oligarch
Charkows Kosten ein gutes Leben in Westeuropa. Navot ließ Gabriel das Dossier da und sagte, er warte darauf, von ihm zu hören. Gabriel überließ die Entscheidung Chiara.
»Liquidiert sie alle«, sagte sie.
»Das dauert seine Zeit.«
»Lass dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
»Du kannst aber nicht mitkommen.«
»Ich weiß.«
»Am besten gehst du nach Tiberias. Gilah wird sich um dich kümmern.«
Am nächsten Morgen versammelten sie sich in Raum 456C am King Saul Boulevard: Jaakov und Jossi, Dina und Rimona, Oded und Mordecai, Michail und Eli Lavon. Gabriel, der als Letzter eintraf, pinnte elf Fotos an das Schwarze Brett an der Querwand des Raums. Elf Fotos von elf Russen. Elf Russen, die diesen Sommer nicht überleben würden. Ihre Besprechung dauerte nicht lange. Die Reihenfolge der Tode wurde festgelegt, die Aufgaben zugewiesen. Die Reisestelle lieferte die Flugtickets, die Ausweisstelle Reisepässe und Visa. Die Hausverwaltung öffnete ihnen viele Türen. Die Finanzabteilung stellte ihnen einen Blankoscheck aus.
Sie verließen Tel Aviv in Intervallen, reisten paarweise und trafen zwei Wochen später in Barcelona zusammen. Dort ermordeten Gabriel und Michail in einer stillen Gasse des Gotischen Viertels den Mann, der am Abend von Grigorijs Entführung auf der Harrow Road hinter ihm hergegangen war. Zur Strafe für seine Sünden wurde er aus kurzer Entfernung mit zwei Berettas Kaliber 22 erschossen. Als er sterbend im Rinnstein lag, flüsterte Gabriel ihm zwei Wörter ins Ohr:
Für Grigorij …
Eine Woche später flüsterte er im Lissabonner Bairo Alto dieselben Wörter der Frau zu, die Grigorij entgegengekommen war – der Frau, die im Nieselregen weder Schirm noch Hut getragen hatte. Wieder zwei Wochen später traf es in Biarritz ihren Partner, den Mann, der neben ihr über die Westbourne Terrace Road Bridge gegangen war. Er hörte die beiden Wörter, bei einem mitternächtlichen Spaziergang auf der Strandpromenade. Sie wurden hinter ihm gesprochen. Als er sich herumwarf, sah er dort Gabriel und Michail mit schussbereiten Pistolen in ausgestreckten Händen.
Für Grigorij …
Danach machte die Nachricht von den Morden die Runde bei den Todeskandidaten. Um zu verhindern, dass die noch Lebenden nach Russland flüchteten, streute der Dienst das falsche Gerücht, hinter der Mordserie steckten nicht die Israelis, sondern Iwan Charkow. Dies sei Charkows Großer Terror, besagten die Gerüchte. Charkow sei dabei, Wildwuchs zu beseitigen. Wer töricht genug sei, einen Fuß nach Russland zu setzen, werde einen sehr schmerzhaften, äußerst gewaltsamen Tod nach russischer Art sterben. Und so blieben die Schuldigen im Westen: in voller Deckung, unter dem Radar. Das glaubten sie zumindest. Aber sie wurden einer nach dem anderen ins Visier genommen. Und sie starben einer nach dem anderen.
Der Fahrer des Mercedes, der Irina zu ihrem »Wiedersehen« mit Grigorij gebracht hatte, wurde in Amsterdam in den Armen einer Prostituierten erschossen. Der Fahrer des Lieferwagens, in dem Grigorij die erste Etappe seiner Rückkehr nach Russland zurückgelegt hatte, wurde erschossen, als er in Kopenhagen aus einer Kneipe kam. Die beiden Handlanger, die Olga Schukowa in Oxford hatten ermorden sollen, kamen als Nächste dran. Einer starb in München, der andere in Prag.
Daraufhin unternahm Sergeij Korowin einen verzweifelten Versuch, zu intervenieren. »Die SWR und der FSB werden nervös«, erklärte er Schamron. »Wer weiß, wohin es führt, wenn diese Sache weitergeht?« Schamron, der sich ein Beispiel an Iwan Charkow nahm, spielte den Ahnungslosen. Dann warnte er Korowin, die russischen Dienste sollten sich lieber vorsehen. Sonst seien sie als Nächste dran. Noch am selben Abend registrierten die Stationen des Diensts überall in Europa eine deutliche Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen für russische Botschaften und bekannte russische Geheimdienstoffiziere. Sie waren natürlich überflüssig. Gabriel und sein Team hatten kein Interesse daran, Unbeteiligte ins Visier zu nehmen. Nur die Schuldigen.
Zu diesem Zeitpunkt standen nur noch vier Namen auf der Liste. Vier Agenten, die Chiaras Entführung aus Umbrien bewerkstelligt hatten. Vier Agenten, die das Blut des Diensts an den Händen hatten. Sie wussten, dass Jagd auf sie gemacht wurde, und versuchten, nie sehr lange an einem Ort zu bleiben. Aber die Angst machte sie nachlässig. Die Angst machte sie zu leichter Beute. Sie wurden durch eine Serie blitzschnell
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