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Der Oligarch

Der Oligarch

Titel: Der Oligarch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel Silva
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Bürstenhaarschnitt und Sonnenbrillen, die sie beide zu sehr an Lior und Motti erinnerten. Chiara äußerte den Wunsch, die Gedenkstätte nördlich von Tel Aviv zu besuchen. Als sie die Namen der beiden in Stein gehauen sah, war sie in Tränen aufgelöst, sodass Gabriel sie praktisch zum Auto zurücktragen musste. Zwei Tage später brach er fast zusammen, als er auf dem Ölberg sah, dass Lior und Motti nur wenige Meter von seinem Sohn entfernt beigesetzt waren.
    Gabriel empfand ein ungewöhnlich starkes Bedürfnis nach Leahs Gesellschaft, und Chiara, die seine Abwesenheit nicht ertragen konnte, blieb nichts anderes übrig, als ihn zu begleiten. Sie saßen stundenlang mit Leah im Garten der Klinik und hörten geduldig zu, wie sie durch die Zeit wanderte, mal in der Gegenwart, mal in der Vergangenheit. Chiara wurde ihr mit jedem Besuch vertrauter, und in lichten Momenten tauschten die beiden Frauen sich sogar darüber aus, wie es war, mit Gabriel Allon zusammenzuleben. Sie sprachen über seine Eigenarten, seine Stimmungsschwankungen und sein Bedürfnis nach absoluter Stille, wenn er arbeitete. Und in großmütiger Stimmung sprachen sie über seine unglaubliche Begabung. Aber dann erlosch das Licht in Leahs Augen, und sie kehrte in ihre persönliche Hölle zurück. Und Gabriel und Chiara manchmal in die ihre. Leahs Arzt schien zu merken, dass irgendetwas mit ihnen nicht in Ordnung war. Bei einem Besuch Anfang April nahm er sie still beiseite und fragte, ob sie professionelle Hilfe bräuchten.
    »Sie sehen beide aus, als hätten sie seit Wochen nicht mehr richtig geschlafen.«
    »Das haben wir auch nicht«, sagte Gabriel.
    »Möchten Sie mit jemandem reden?«
    »Das dürfen wir nicht.«
    »Schwierigkeiten im Beruf?«
    »Sozusagen.«
    »Soll ich Ihnen etwas mitgeben, damit Sie schlafen können?«
    »Unser Medizinschränkchen ist die reinste Apotheke.«
    »Ich will Sie beide mindestens eine Woche lang nicht mehr sehen. Reisen Sie irgendwohin. Legen Sie sich in die Sonne. Sie sehen aus wie Gespenster.«
    Am nächsten Morgen fuhren sie von ihren Leibwächtern eskortiert nach Eilat. Sie schafften es, drei Tage lang nicht über Russland, Iwan Charkow, Grigorij Bulganow oder die Birkenwälder nordöstlich von Moskau zu sprechen. Sie verbrachten ihre Zeit damit, sich am Strand zu sonnen oder zwischen den Korallenriffen des Roten Meeres zu Schnorcheln. Sie aßen zu viel, tranken zu viel Wein und liebten sich bis zur Erschöpfung. An ihrem letzten Abend sprachen sie über die Zukunft, über Gabriels Versprechen, aus dem Dienst auszuscheiden, und darüber, wo sie leben könnten. Vorläufig hatten sie keine andere Wahl, als in Israel zu bleiben. So lange Charkow noch lebte, konnten sie das Land und den schützenden Kokon des Diensts unmöglich verlassen.
    »Und wenn er tot wäre?«, fragte Chiara.
    »Wir könnten überall leben – in vernünftigem Rahmen, versteht sich.«
    »Dann wirst du ihn einfach liquidieren müssen, nehme ich an.«
    Am nächsten Morgen verließen sie Eilat, um nach Jerusalem zurückzukehren. Auf der Fahrt durch den Negev, in der Nähe von Beerscheba entschloss sich Gabriel ziemlich spontan zu einem kleinen Umweg. Sein Ziel war ein Gefängnis und Vernehmungszentrum, das mitten in einem militärischen Sperrgebiet lag. Dort waren nur eine Handvoll Insassen untergebracht, die sogenannten Schlimmsten der Schlimmen. Zu dieser kleinen Gruppe Auserwählter gehörte der Häftling 6754, sonst als Anton Petrow bekannt – der Mann, den Charkow angeheuert hatte, um Grigorij und Chiara entführen zu lassen. Der Kommandant der Einrichtung ließ Petrow in den Innenhof bringen, damit Gabriel und Chiara ihn sehen konnten. Er trug einen blau-weißen Jogginganzug. Seine Muskeln waren verkümmert, sein Haar schütter geworden. Beim Gehen hinkte er auffällig.
    »Schade, dass du ihn nicht umgelegt hast«, sagte Chiara.
    »Glaub ja nicht, dass ich nicht mit diesem Gedanken gespielt habe.«
    »Wie lange behalten wir ihn hier?«
    »So lange wie nötig.«
    »Und dann?«
    »Die Amerikaner würden auch gern mit ihm reden.«
    »Irgendjemand muss dafür sorgen, dass er einen Unfall hat.«
    »Mal sehen.«
    Es war schon dunkel, als sie in der Narkiss-Straße ankamen. Die zahlreichen, überall postierten Leibwächter waren für Gabriel ein Hinweis darauf, dass oben in ihrem Apartment ein Besucher auf sie wartete. Im Wohnzimmer saß Uzi Navot. Er hatte ein Dossier. Er hatte Namen. Elf Namen. Lauter ehemalige KGB-Leute. Alle führten auf Iwan

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