Der Oligarch
einem frisch restaurierten Gemälde: ausgebessert und mit neuem Firnis glänzend, aber weiterhin beschädigt. Er würde sehr behutsam mit ihr umgehen müssen.
Gabriel hatte befürchtet, dieses Treffen würde dazu dienen, all die schrecklichen Details der Geschichte nochmals auszubreiten, aber sie wurde nur einmal erwähnt, als Schamron von der Bedeutung des Erreichten sprach. Als Juden hatten sie alle Verwandte, deren sterbliche Überreste in Krematorien in Rauch aufgegangen waren oder in den baltischen Staaten oder der Ukraine in Massengräbern lagen. Die Erinnerung an sie wurde durch Gedenkflammen und die im Namenssaal der Gedenkstätte Jad Waschem aufbewahrten Karteikarten wachgehalten. Aber es gab keine Gräber, die man besuchen, keine Grabsteine, an denen man weinen konnte. Durch das Unternehmen in Russland hatte Gabriels Team den Hinterbliebenen der siebzigtausend Ermordeten, die in der Wladimirskaja Oblast in Massengräbern lagen, einen Ort der Erinnerung geschenkt. Sie hatten einen schrecklichen Preis gezahlt, und Grigorij war dabei umgekommen, aber durch ihr Opfer hatten sie siebzigtausend ruhelosen Seelen eine Art Gerechtigkeit, vielleicht sogar Frieden geschenkt.
Für den Rest des Mahls unterhielt Schamron sie mit Geschichten aus der Vergangenheit. Er war nie glücklicher als im Kreis von Angehörigen und Freunden, und seine gute Laune schien die tiefen Runzeln und Falten in seinem alten Gesicht ein wenig zu glätten. Eine gewisse Traurigkeit war jedoch unübersehbar. Das Unternehmen war für sie alle traumatisch gewesen, aber in vielerlei Hinsicht hatte Schamron am meisten gelitten. Seine Abgebrühtheit und Cleverness hatten ihnen allen das Leben gerettet. Aber an jenem schlimmen Morgen hatte er über eine Stunde lang gefürchtet, drei Angehörige des Diensts, von denen er zwei wie eigene Kinder liebte, seien im Begriff, einen schrecklichen Tod zu sterben. Für ein Unternehmen dieser Art musste ein emotionaler Preis gezahlt werden – und Schamron zahlte ihn später an diesem Abend, als er Gabriel aufforderte, zu einem privaten Gespräch mit ihm auf die Terrasse zu kommen. Sie saßen an der Stelle zusammen, wo Gabriel und Chiara getraut worden waren. Schamron rauchte nachdenklich, Gabriel sah zu dem schwarzblauen Himmel über den Golanhöhen auf.
»Deine Frau sieht heute Abend strahlend aus. Fast wie neu.«
»Der äußere Eindruck kann täuschen, Ari, aber sie sieht wundervoll aus. Dafür habe ich wohl Gilah zu danken. Sie hat sich während meiner Abwesenheit offenbar gut um sie gekümmert.«
»Gilah versteht sich darauf, Menschen wieder heil zu machen, auch wenn sie nicht genau weiß, wieso sie überhaupt kaputt gegangen sind. Ich muss sagen, dass wir es genossen haben, Chiara den Sommer über bei uns zu haben. Wollte Gott, meine eigenen Kinder kämen uns öfter besuchen.«
»Vielleicht täten sie’s, wenn du nicht so viel rauchen würdest.«
Schamron nahm einen letzten Zug von seiner Zigarette und drückte sie langsam aus. »Ich hatte den Eindruck, dass du dich auch amüsiert hast. Oder hast du mir nur etwas vorgespielt?«
»Es war ein wundervoller Abend, Ari. Tatsächlich genau das, was wir alle brauchen.«
»Dein Team verehrt dich, Gabriel. Es würde alles für dich tun.«
»Das hat es bereits. Du brauchst nur Michail zu fragen.«
»Glaubst du, dass er diese Amerikanerin wirklich heiraten will?«
»Sie heißt Sarah. Einem Juden aus Tiberias wie dir sollte es nicht schwerfallen, sich diesen Namen zu merken.«
»Beantworte meine Frage.«
»Er wäre ein Dummkopf, wenn er sie nicht heiraten würde. Sie ist eine bemerkenswerte Frau.«
»Aber sie ist keine Jüdin.«
»Sie könnte leicht eine sein.«
»Glaubst du, dass die CIA sie weiterbeschäftigt, wenn sie einen von uns heiratet?«
»Wenn sie es nicht tun, sollten wir sie einstellen. Wäre Sarah nicht gewesen, hätte Anton Petrow Uzi in Zürich womöglich umgebracht.«
Schamrons Erwiderung bestand darin, dass er sich eine weitere Zigarette anzündete.
»Wie geht es ihm?«, fragte Gabriel.
»Petrow?« Schamron verzog gleichgültig den Mund. »Nicht so gut.«
»Was fehlt ihm?«
»Anscheinend hat er es geschafft, aus dem Vernehmungszentrum auszubrechen. Eine Beduinengruppe hat seine Leiche siebzig Kilometer südlich von Beerscheba in der Negev aufgefunden. Da waren die Geier schon bei ihm. Wie ich gehört habe, war er schlimm zugerichtet.«
»Schade, dass ich keine Gelegenheit zu einem letzten Gespräch mit ihm hatte.«
»Das
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