Der Oligarch
Zitrone oder nur auf Eis?« Sie sah zu der Hostess auf. »Bitte ein Glas Champagner. Eine gute Marke. Er hat einen langen Tag hinter sich.«
Die Hostess ging davon. Sarah lächelte und hob ihr Glas an die Lippen.
»Am Abend vor einem Flug sollte man nicht trinken, heißt es, Sarah.«
»Wenn ich eines deiner Unternehmen überlebt habe, überlebe ich auch einen Transatlantikflug mit etwas Martini im Blut, glaube ich.«
»Du fliegst also nach Europa? Schickt Carter dich dorthin?«
»Adrian hat mich gewarnt, vor dir auf der Hut zu sein. Aus mir bekommst du nichts heraus.«
»Ich denke, ich habe ein Recht darauf, es zu erfahren.«
»Wirklich?« Sie stellte ihr Glas ab und beugte sich über den Tisch. »Du wirst es nicht glauben, Gabriel, aber ich arbeite nicht mehr für den Dienst. Ich bin beim National Clandestine Service der Central Intelligence Agency angestellt, was bedeutet, dass ich meine Aufträge von Adrian Carter, nicht von dir erhalte.«
»Möchtest du das etwas lauter sagen? Ich weiß nicht, ob die Köche und Spüler dich gehört haben.«
»Hast du mir nicht selbst erzählt, dass fast jedes wichtige berufliche Gespräch, das du geführt hast, an öffentlichen Orten stattgefunden hat?«
Das stimmte natürlich. Sichere Räume waren nur sicher, wenn sie nicht verwanzt waren.
»Dann schließ wenigstens ein paar Einsatzorte für mich aus. Ich schlafe besser, wenn ich weiß, dass Langley in seiner unendlichen Weisheit nicht beschlossen hat, dich nach Saudi-Arabien oder Russland zu schicken.«
»Du kannst ruhig schlafen. Langley hat nichts dergleichen beschlossen.«
»Dann ist es also tatsächlich Europa.«
»Gabriel, wirklich, es reicht!«
»Mit welchem Auftrag wirst du unterwegs sein?«
Sie seufzte genervt. »Er hängt mit den fortdauernden Bemühungen meiner Regierung zusammen, den internationalen Terrorismus zu bekämpfen.«
»Wie heldenhaft. Und wenn man dazu bedenkt, dass du vor vier Jahren noch die Ausstellung ›Impressionisten im Winter‹ vorbereitet hast …«
»Ich hoffe, dass das als Kompliment gemeint war.«
»Natürlich.«
»Du bist offenbar nicht damit einverstanden, dass ich ohne dich zum Einsatz komme.«
»Ich habe meine Besorgnis geäußert. Aber Adrian ist dein Boss, nicht ich. Und wie käme ich dazu, sein Urteil anzuzweifeln, wenn Adrian keine Bedenken hat?«
»Weil du Gabriel Allon bist, deshalb.«
Ihr Ober erschien. Er legte ihnen die Speisekarten hin und machte eigens auf die Tagesgerichte aufmerksam. Als er gegangen war, studierte Gabriel die Vorspeisen und fragte so beiläufig wie möglich, ob Michail von Sarahs Reiseplänen wisse. Als er keine Antwort bekam, sah er auf und stellte fest, dass Sarah, deren Alabasterhaut hochrote Flecken aufwies, ihn anstarrte.
»Nur gut, dass dir das nie passiert ist, als du mit Zizi und Charkow zusammen warst«, sagte Gabriel.
»Hat Michail dir das erzählt?«
»Der Chef des National Clandestine Service hat es nebenbei erwähnt.«
Sarah äußerte sich nicht dazu.
»Es stimmt also? Du hast wirklich ein Verhältnis mit einem Mitglied meines Teams?«
»Bist du wütend oder eifersüchtig?«
»Weshalb um Himmels willen sollte ich eifersüchtig sein?«
»Ich konnte dich nicht endlos aus der Ferne verehren. Ich wollte nicht länger allein sein.«
»Und du konntest außer einem Mann, der für mich arbeitet, niemand anderen finden?«
»Seltsam, wie sich das ergeben hat. Irgendwas an Michail muss mir vertraut erschienen sein, denke ich.«
»Einen Partner zu haben, der bei einem ausländischen Geheimdienst arbeitet, ist nicht gerade karrierefördernd, Sarah.«
»Langley hat Schwierigkeiten, junge kluge Talente zu halten. Da werden die alten Regeln schon mal großzügig ausgelegt.«
»Vielleicht sollte ich mal mit eurer Personalabteilung reden. Womöglich überlegt sie sich die Sache dann anders.«
»Das wagst du nicht, Gabriel. Du hast auch kein Recht, dich in mein Privatleben einzumischen.«
Sarahs Privatleben hatte seit 9.03 Uhr am 11. September 2001, als der United-Airlines-Flug 175 in den Südturm des World Trade Centers gerast war, größtenteils in Trümmern gelegen, das wusste Gabriel. An Bord des Flugzeugs war der junge Anwalt und Harvardabsolvent Ben Callahan gewesen. In den letzten Augenblicken seines Lebens hatte Ben noch einmal telefonieren können – mit Sarah Bancroft. Seit damals hatte sie sich nur Gefühle für einen einzigen anderen Mann gestattet. Unglücklicherweise war dieser Mann Gabriel gewesen.
»Du solltest
Weitere Kostenlose Bücher