Der Oligarch
Grigorij habe sich die Sache anders überlegt und sei wieder in die Arme von Mütterchen Russland geflüchtet. Wie Sie sich vielleicht erinnern werden, hatte ich in der Nacht Ihrer Flucht aus Russland Gelegenheit, länger mit ihm zu reden.«
Daran erinnerte sich Gabriel natürlich. Mit einem logistischen Kraftakt, zu dem nur die Agency imstande war, hatte Carter nur wenige Stunden, nachdem Gabriel und seine drei russischen Überläufer die ukrainische Grenze überquert hatten, mehrere Geschäftsflugzeuge des Musters Gulfstream G500 nach Kiew entsandt. Während Grigorij und Olga nach England ins Exil geflogen waren, war Gabriel nach Israel zurückgekehrt. Carter hatte Elena Charkowa persönlich in die Vereinigten Staaten gebracht, wo sie Asyl erhalten hatte. Ihre gegenwärtigen Lebensumstände wurden so streng geheim gehalten, dass nicht einmal Gabriel wusste, wo die CIA sie versteckte.
»Wir haben ein Team entsandt, das Grigorij binnen vierundzwanzig Stunden nach seiner Ankunft in England ausführlich befragt hat«, fuhr Carter fort. »Keiner der Beteiligten hat je Zweifel an seiner Authentizität geäußert. Nach seinem Verschwinden habe ich veranlasst, dass alle Tonbänder und Mitschriften nochmals überprüft wurden.«
»Und?«
»Grigorij war durch und durch echt. Deshalb waren wir einigermaßen verblüfft, als die Engländer anderer Meinung waren. Unserer Einschätzung nach war das ein ziemlich durchsichtiger Versuch, die Schuld an seinem Verschwinden teilweise auf Sie abzuwälzen. Die Engländer hätten nie zulassen dürfen, dass er sich mit diesen Oppositionellen einlässt, die in London herumgeistern. So war es nur eine Frage der Zeit, wann Charkow an ihn herankommen würde.«
»Wird Charkow weiter von der NSA überwacht?«
»Aber sicher.«
»Wissen Sie, dass er der Hisbollah vor Kurzem einige Tausend Panzerabwehrraketen und RPGs verkauft hat?«
»Wir haben entsprechende Gerüchte gehört. Aber im Augenblick steht die Überwachung seiner Aktivitäten auf unserer Prioritätenliste ziemlich weit unten. Uns geht es in erster Linie darum, seine Exfrau und seine Kinder vor Schaden zu bewahren.«
»Hat er jemals versucht, sie zurückzubekommen?«
»Dieses Thema hat der russische Botschafter vor einigen Monaten in einem Gespräch mit der Außenministerin angesprochen. Die Ministerin hat die leicht Überraschte gespielt und ihm versprochen, Nachforschungen anstellen zu lassen. Sie ist eine gute Pokerspielerin, die Ministerin. Hätte eine ausgezeichnete Agentin abgegeben. Eine Woche später hat sie dem Botschafter erklärt, Elena Charkowa und ihre Kinder lebten nicht in den Vereinigten Staaten und hätten dort auch noch nie gelebt. Der Botschafter hat ihr überschwänglich für ihre Mühe gedankt und das Thema nie mehr angeschnitten.«
»Charkow muss wissen, dass sie hier sind, Adrian.«
»Natürlich weiß er das. Trotzdem können Charkow und seine Freunde im Kreml nichts dagegen tun. Ihr Unternehmen im vergangenen Sommer in Saint-Tropez war große Klasse, Gabriel. Sie haben Charkows Kinder entfuhrt und trotzdem noch einen Anschein von Legalität gewahrt. Außerdem hat Charkow effektiv auf sie verzichtet, als er sich vor einem russischen Gericht von Elena hat scheiden lassen. Wenn er sie jetzt zurückhaben will, muss er sie entführen lassen. Und das kann er nicht. Weil wir unsere Überläufer besser schützen, als es die Engländer tun.«
»Sie lebt an einem sicheren Ort, hoffe ich.«
»Garantiert sicher. Aber darf ich Ihnen einen Rat unter Freunden geben? Nehmen Sie sich Grigorijs Worte zu Herzen. Vergessen Sie das Versprechen, das Sie ihm in jener Nacht in Russland gegeben haben. Außerdem vermute ich, dass Charkow ihn längst mit einem Genickschuss erledigt hat. Wie ich den Kerl kenne, hat er das bestimmt eigenhändig getan. Fliegen Sie zu Ihrer Frau nach Hause und überlassen Sie es den Briten, diese Situation zu bereinigen.«
»Ich halte meine Versprechen gern. Das habe ich früher auch von Ihnen gedacht, Adrian.«
Carter legte die Hände aneinander und ließ sein Kinn auf den Fingerspitzen ruhen. »Ihre Andeutung ist nicht ganz fair. Also gut – was kann Langley für Sie tun?«
»Leiten Sie die Überwachungsfotos von Anatolij an Ihr Zentrum für Spionageabwehr weiter. Ihre Leute sollen versuchen, das Gesicht durch einen Namen und einen Lebenslauf zu ergänzen.«
»Ich sorge dafür, dass der Leiter die Sache persönlich in die Hand nimmt.« Carter legte die Fotos zusammen. »Wie lange wollen
Weitere Kostenlose Bücher