Der Olivenhain
fragen würde, würde er ihr sagen, dass sie sich deswegen keine Sorgen machen solle, dass er aber gerne der Navy beitreten würde, sollte es doch so weit kommen. Er wandte sich von dem Mann im Rollstuhl ab, mit dem er gesprochen hatte, und sah sie in der Tür stehen.
»Suchst du mich?«, fragte er, nahm seinen Hut ab und strich sich die Haare glatt. »Amelia hat gesagt, dass du heute kommst. Es ist so lange her, dass ich dich fast nicht wiedererkenne.«
Elizabeth konnte sehen, dass es ihm schwerfiel zu entscheiden, wer sie war. Sein geschultes Auge wartete darauf, dass sie ihm einen Hinweis gab, wer sie war. »Du hast mir gefehlt, Frankie«, sagte sie.
Wegen der Koseform dachte er meist, sie sei eine ältere Verwandte. Manchmal entschied er sich für eine Schwester, manchmal für seine Mutter. Franks Schwestern hatten bereits eigene Familien gehabt, als er geboren wurde, und deren Enkelkinder zankten sich schon jetzt darum, wer einmal seine vierzig Morgen aus dem Familienbesitz erben würde. Elizabeth wusste, dass er seine Schwestern über alles liebte, während das Verhältnis zu seiner Mutter eher distanziert gewesen war, da sie es nie verwunden hatte, mit fast fünfzig noch ein Kind bekommen zu haben. Elizabeth log ihn nie an, nannte ihn nie Bruder oder Sohn, sondern ließ ihn stets selbst entscheiden, wer sie für ihn war.
»Schwester«, sagte er und grinste.
Sie breitete die Arme aus.
Sie umarmten sich lange genug, um Elizabeth Anlass zur Hoffnung zu geben, dass ein kleiner Teil von Frank heute wusste, wer sie war. Sie wollte ihm gerade etwas ins Ohr flüstern, als er sich von ihr löste und auf den Mann im Rollstuhl deutete, der ein schlecht sitzendes, dunkles Toupet trug.
»Kennst du Guy?«
Natürlich kannte Elizabeth Guy. Sie waren einander praktisch bei jedem ihrer Besuche vorgestellt worden, seit er vor sieben Jahren Quartier im Golden Sunsets bezogen hatte. Er war Franks Freund. Er war ein feinfühliger Mann mit zartem Knochenbau und ausgeprägten römischen Gesichtszügen. Er litt nicht unter Demenz wie ihr Mann, spielte aber immer mit, wenn Frank sie einander vorstellte.
Seine Familie hatte ihn in den Achtzigerjahren fallen gelassen, nachdem seine Frau gestorben war und er das Geld ihrer Familie für erheblich jüngere Liebhaber verprasst hatte. Vor etwa fünfzehn Jahren hatte er einen Schlaganfall gehabt, infolgedessen er seine linke Körperhälfte nur noch eingeschränkt bewegen konnte, und deshalb war er ins Golden Sunsets gekommen.
Aus vielen Gründen hätte Elizabeth Guy gerne nicht gemocht, doch das konnte sie nicht. Er war einer der charmantesten Männer, die sie je kennengelernt hatte. Als Callie ihn zum ersten Mal sah, sagte sie, es komme ihr vor, als sei Clark Gable von der Leinwand direkt ins Golden Sunsets herabgestiegen. »Was macht der denn hier?«, hatte sie damals gefragt.
Als Elizabeth noch nicht begriffen hatte, was sich zwischen ihrem Mann und Guy abspielte, nutzte sie ihre Besuche bei Frank als Vorwand, um in Guys Nähe zu sein und seinen Abenteuergeschichten zu lauschen, die er in seiner Zeit bei den United Service Organizations erlebt hatte. Als Toningenieur war er mit sämtlichen großen Stars zu deren Konzerten gereist, die sie für Soldaten gegeben hatten. Dort hatte er auch seine Frau kennengelernt, eine Sängerin in einem Duo, dessen Erfolge sich allerdings auf zwei Platten beschränkten. »Sie hätten es zu mehr bringen können«, klagte Guy immer. »Aber die Damen müssen ja losziehen und sich schwängern lassen.«
Seine Ausdrucksweise, die Elizabeth an die Aufschneider aus ihrer Jugend erinnerte, brachte sie zum Lachen. Er redete aber nicht immer so, nur wenn er den Unterhalter mimte, wie er es nannte. Ansonsten sprach er mit ruhiger Stimme und einem leichten Akzent aus dem Mittleren Westen.
In diesen ersten Monaten traf sie Guy und Frank meistens beim Schachspielen an, wenn sie ins Golden Sunsets kam. Sie redeten über ihre Kindheit – von Hunden, die sie gehabt hatten, Badestellen, Filmen, an die Elizabeth sich nie erinnern konnte.
Einmal hatte Guy versucht, ihr zu sagen, was zwischen ihm und Frank vorging. Es war ein Nachmittag im Herbst, Frank war gerade eingenickt, da gestand ihr Guy seine sexuelle Neigung zu Männern. Er erzählte Elizabeth, der heiligen Elizabeth, wie er sie nannte, dass seinem Sohn endgültig der Kragen geplatzt war, als ihm einer seiner Liebhaber, genauer gesagt ein Strichjunge, die Brieftasche geklaut und ihn in Reno sitzen gelassen
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