Der Orden
hinab, George. Aber das sollte dir keine Angst machen.«
Eine neue Nachricht kam herein. Sie stammte von Claudio. Es war eine Telefonnummer des Ordens. Unter dieser Nummer, so hieß es, könne ich auf direktem Wege meine Schwester Rosa erreichen. Mein Herz schlug schneller.
38
Als Totila nach Rom kam, schrieb man das Jahr 667. Er trug einen Eisenkragen um den Hals, denn er war ein Verbrecher, der diese Pilgerwanderung als Buße unternahm.
Totila war ein einfacher Mann, ein Bauer aus dem Süden Galliens. Er hatte nicht bestritten, was man ihm vorwarf: dass er ein wenig Brot gestohlen hatte, um die aufgedunsenen Bäuche seiner Töchter zu füttern. Überschwemmungen und das Räuberunwesen hatten seine Ernte vernichtet, und ihm war keine andere Wahl geblieben. Das verringerte seine Sünde natürlich nicht, aber der Bischof hatte Milde walten lassen, und Totila war für die paar Bissen Brot mit einigen Peitschenhieben davongekommen, die wahrscheinlich keine Narben hinterlassen würden. Außerdem hatte er diese Reise zur Hauptstadt der Welt antreten müssen.
Totila hatte sich jedoch noch nie in seinem Leben weiter als eine halbe Tagesreise von seinem Geburtsort entfernt. Ganz Europa war nach den ruhigen Tagen des Imperiums ein einziger Unruheherd geworden, und dies war keine Zeit für Reisen. Die Wanderung war an sich schon ein überwältigendes Erlebnis gewesen, ein Streifzug durch nicht enden wollende Seltsamkeiten.
Und als er sich nun Rom näherte, sich der Flut der Pilger anschloss, die auf der von Unkraut überwachsenen Straße zur Stadt dahinstapften, und schließlich durch den gewaltigen Torbogen die Stadt selbst betrat, war es Totila, als entwiche seine Seele vor Staunen aus dem Körper.
Rom war eine Stadt der Hügel, auf denen sich riesige Bauwerke ausbreiteten – Paläste und Tempel, Bogen und Säulen. Doch zwei Jahrhunderte nach dem letzten Kaiser des Westreichs war selbst im Zentrum der weiße Marmor von Feuer geschwärzt, vielen Gebäuden fehlte das Dach, und Totila sah, dass auf den Bürgersteigen Gras und Unkraut wuchsen und dass sich Efeu und Weinranken an zerbröckelnden Stein klammerten. Abseits des Zentrums war ein großer Teil der von Mauern umgebenen Stadt völlig zerstört; die Häuser waren eingeebnet worden oder ausgebrannt, und man hatte sie dem Grün überlassen. Rinder und Ziegen wanderten zwischen Mauerwerksresten umher, die aus dem Gras ragten.
Die vielen neuen Kirchen waren jedoch prachtvoll und schön.
Er schlenderte zum Forumsbereich. Dort drängten sich Stände, an denen Nahrungsmittel, Getränke und viele, viele christliche Paraphernalien und Reliquien feilgeboten wurden. Und die Menschen kauften. Einige mussten Pilger wie er sein – er sah Eisenringe um Hälse und Arme und erkannte weitere Verbrecher –, andere waren jedoch gut gekleidet und offenkundig wohlhabend.
Er hörte das Schmettern von Trompeten.
Auf einmal wurde er von einem Schwarm von Leibern mitgerissen. Verwirrt und verängstigt hielt er sich die Hand vor die Brust, wo sein lederner Geldbeutel unter der Tunika an seiner Schnur hing, denn er hatte von der Kriminalität der Römer gehört. Er bemühte sich, über die Köpfe der Menge hinwegzuschauen.
Eine Prozession zog vorbei: eine Reihe dunkelhäutiger Sklaven, Soldaten mit nacktem Oberkörper, Schilden und Trompeten, und eine vergoldete Sänfte. Im hellen Sonnenschein Italiens war sie eine strahlende, funkelnde Erscheinung, und Totila senkte den Blick.
»Du bist vom Glück begünstigt«, flüsterte ihm eine Stimme ins Ohr.
Er drehte sich erschrocken um und sah einen kleinen, dunkelhaarigen Mann, der ihn anlächelte. »Vom Glück begünstigt?«
»Nicht jeder Pilger bekommt den Kaiser persönlich zu Gesicht. Schließlich beehrt uns der große Konstans nicht gerade oft mit seiner Anwesenheit«, sagte der Mann trocken. »Er zieht die Annehmlichkeiten Konstantinopels vor, wo einem keine Ziegen an den Beinen knabbern, wie ich gehört habe.«
Rom stand derzeit wieder einmal unter der Herrschaft Konstantinopels, der Hauptstadt des Ostreichs – nicht dass es irgendjemandem sonderlich viel nützte. Konstans residierte in einem der alten Palastgebäude auf dem Palatin, obgleich dessen Mauern bröckelten und es kein Dach mehr besaß. Aber der Kaiser hatte der Stadt nichts mitgebracht. Im Gegenteil, er schien sogar darauf aus zu sein, sie solcher Schätze wie Statuen und Marmorskulpturen und sogar der vergoldeten Bronzekacheln auf dem Dach des
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