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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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verstand sich gut darauf, Zeit zu schinden, meine Fragen abzuwehren, meine Persönlichkeit zu erforschen, herumzuorakeln und Zweifel zu säen: jedenfalls besser auf solchen Kokolores als auf persönliche Risikobereitschaft und eigenverantwortliches Handeln. Vielleicht brauchte man diese Eigenschaft, um im Vatikan zurechtzukommen, dachte ich; die Kirche hatte nicht zweitausend Jahre überdauert, indem sie Eigeninitiative zeigte. Aber das half mir nicht weiter.
    Und es war mehr als das. Ich hatte das gleiche Gefühl wie bei meinen Begegnungen mit der Schuldirektorin, Gina und sogar Lou. Immer wenn ich Rosa einen Schritt näher zu kommen versuchte, schien ich mich gegen eine unsichtbare, ungreifbare Barriere zu stemmen, ein Kraftfeld aus Worten, Blicken und subtiler Körpersprache. Es war, als hätten mich all diese Leute von der Suche abbringen wollen – vielleicht ohne es überhaupt zu merken.
    Aber wenn ich eins bin, dann ein sturer Bock, und nachdem ich so weit gekommen war, hatte ich keineswegs vor aufzugeben. Vielleicht machte mich auch der Wein aggressiv. Ich beschloss, ihn herauszufordern. »Sie arbeiten für den Orden, nicht wahr?«
    »Ich hatte ein paarmal mit ihm zu tun.«
    »Sie besorgen ihm neue Mitglieder«, sagte ich grob. Es war nur eine Vermutung, aber ich traf ins Schwarze.
    Sein Lächeln erlosch. »Wenn ich sehe, dass jemand bedürftig ist, und wenn ich dieses Bedürfnis durch den Orden befriedigen kann…«
    »Geben Sie mir nun die Kontaktinformation oder nicht?«
    Er nickte kurz. »Morgen«, sagte er. »Ich schicke sie Ihnen ins Hotel.«
     
    Als ich in mein Zimmer zurückkam, ging ich wieder ins Internet. Ich fand zwei weitere E-Mails von Peter vor. In der ersten erklärte er mir zu meiner Überraschung, er habe einen Flug nach Rom gebucht. Er habe das Gefühl, ich brauchte Hilfe, schrieb er.
     
»Ich glaube, wir haben es hier mit einer Sekte zu tun, George. Mit irgend so einem verrückten, mutterfixierten Marienkult. Und er ist fast so alt wie die Kirche selbst. Wenn der Vatikan Geld vom Orden bekommt, werden sie mauern… Geh noch mal zu deinem zahmen Jesuiten«,
     
    schrieb er.
     
»Vielleicht kann er mir Zugang zum Geheimarchiv des Vatikans verschaffen. Alle Slan(t)er wissen, dass darin die Lösungen für die meisten Rätsel des Universums zu finden sind.«
     
    Tja, vielleicht. Ich wusste natürlich, dass Peter seine eigenen Ziele verfolgte – meine spielten für ihn nur eine Nebenrolle –, und ich fragte mich, ob vielleicht mehr hinter dieser plötzlichen Änderung seiner Pläne steckte.
    Seine zweite E-Mail war nachdenklicher.
     
»Wir sind so kurzlebig, George. Das Imperium ist schon so lange tot und begraben, dass es die Möglichkeiten des Lebens übersteigt, diese Zeitspanne zu messen. Der älteste Mensch, von dem wir wissen, wurde ungefähr 120 Jahre alt. Schon wenn du also etwas mehr als ein Jahrhundert hinuntertauchst, findest du keinen Menschen mehr, der heute noch lebt – und trotzdem hast du erst ein Zwanzigstel des Weges bis zu den Kaisern zurückgelegt.
Kein Säugetier lebt länger als die Menschen, kein Elefant, kein Hund und kein Pferd. Der Papagei deiner Großmutter schafft vielleicht ein knappes Jahrhundert. Die ältesten Insekten sind Prachtkäfer, die mit dreißig sterben, und Krokodile werden bis zu sechzig Jahre alt. Die langlebigsten Landtiere überhaupt sind Schildkröten – Captain Cook hat dem König von Tonga eine geschenkt, die angeblich 188 Jahre alt geworden ist –, und einige Mollusken wie die dickschalige Islandmuschel können zweihundert Jahre alt werden. Aber das wär’s dann auch. Wenn du also nur zweihundert Jahre tief in den Abgrund hinuntersteigst, lässt du alle lebenden Tiere hinter dir.
Noch weiter unten sind dann nur noch Pflanzen. In den Gärten von Kaiser Hadrians Villa soll eine tausend Jahre alte Zypresse stehen, aber selbst dann hast du erst die Hälfte der Strecke bis zu Hadrian selbst geschafft. Oh, es gibt einen Redwood-Baum, der angeblich siebentausend Jahre alt ist, und die lebenden Bakterien, die man im Gedärm eines gefrorenen Mastodons gefunden hat, waren über elftausend Jahre alt – aber solche Gruftis sind selten. Alles andere ist inzwischen genauso gestorben, wie auch wir sterben werden, George, das Gras, die Pilze, die Käfer; wir könnten genauso gut alle Eintagsfliegen sein.
Aus der Zeit der Kaiser hat buchstäblich nichts überlebt – nicht einmal im Gedächtnis der Pflanzen. Du tauchst wahrhaftig sehr tief in die Zeit

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