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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Herrgott noch mal. Du hast doch bestimmt Ersparnisse…«
    »Meine Konten sind eingefroren worden«, sagte er. »Lange Geschichte. Ich zahl’s dir natürlich zurück, ist ja klar…«
    Vielleicht bin ich naiv. Es war eine Zeit in meinem Leben, in der es verschiedenen Leuten, darunter einem Jesuiten und meiner früh verlorenen und erst kürzlich wiedergefundenen Schwester, kaum Schwierigkeiten zu bereiten schien, mich mit simplen Ablenkungsmanövern und Tricks von unangenehmen Wahrheiten fernzuhalten. Aber an jenem Tag war ich nicht recht bei mir, wie immer seit meiner Rückkehr aus der Krypta. Ich wurde die Erinnerung einfach nicht los; es schien, als wäre die milchige Luft dort eine Droge gewesen und ich durch einen einzigen schnellen Schuss süchtig geworden.
    Das war der Grund, weshalb ich Peter keinen Widerstand entgegensetzte, weshalb es mir schwer fiel, mich auf seine ausweichenden Erklärungen zu konzentrieren, was er getan hatte und warum er in dieser Verfassung hergekommen war. Es schien einfach keine Rolle zu spielen.
     
    Ich wollte nicht für ein weiteres Zimmer blechen; das Hotel war zwar billig, aber so billig nun auch wieder nicht. Deshalb besorgte ich uns ein Doppelzimmer auf meinen Namen. Wir zogen noch am selben Nachmittag dort ein.
    Peter brauchte nicht lange, um auszupacken. Seine Reisetasche enthielt nichts weiter als seinen Laptop und ein paar Klamotten zum Wechseln, einige noch mit den Ladenetiketten, als hätte er sie in aller Eile gekauft. Er hatte nicht einmal einen Rasierapparat; er borgte sich meinen, bis er sich eine Packung Einwegrasierer kaufen konnte.
    Er duschte, rasierte sich und schickte seine Reisekleidung in die Hotelwäscherei. Während des restlichen Nachmittags verschlang er dann gierig das Büchlein über meine angebliche Vorfahrin Regina, das Rosa mir gegeben hatte.
    Am Abend ließ er sich von mir in mein Lieblingsstraßenrestaurant einladen. Ich erzählte Peter so viel ich konnte über meine Schwester Rosa, den Orden und die Krypta. Er hörte nur zu.
    Auf eine Serviette schrieb ich die drei lateinischen Sprüche aus der Krypta, die ich mir gemerkt hatte. Er übersetzte sie mithilfe von Online-Wörterbüchern, auf die er über seinen Handheld zugriff:
    Schwestern sind wichtiger als Töchter.
    Unwissenheit ist Stärke.
    Hör auf deine Schwestern.
    »Was meinst du, was das bedeutet?«
    »Hab nicht die leiseste Ahnung«, sagte er und speicherte die Sprüche, um sich später eingehender mit ihnen zu beschäftigen.
    Ich versuchte ihm zu erklären, worin die Anziehungskraft der Krypta bestand.
    Früher einmal hatte ich einen Freund gehabt, der in einer Reihe militärischer Stützpunkte aufgewachsen war, ziemlich gesichtslosen, über das ganze Land verstreuten Siedlungen mit Fünfzigerjahre-Atmosphäre. Aber hinter ihren Stacheldrahtverhauen und bewaffneten Männern war man in Sicherheit gewesen, dort gab es nur Dienstpersonal und dessen Familien. Es gab keine Verbrechen, keine Unordnung, keine Graffiti und keinen Vandalismus. Als mein Freund dann erwachsen war und selbst seinen Dienst bei der Luftwaffe abgeleistet hatte, wurde er schließlich aus seinem Stacheldraht-Utopia vertrieben. Ich hatte den Eindruck, dass er sein ganzes späteres Leben lang aus unserer chaotischen Welt auf die kleinen Inseln der Ordnung hinter dem Zaun zurückschaute. Ich hatte immer gewusst, wie er sich fühlte.
    Und dasselbe empfand ich nun in Bezug auf die Krypta. Es waren jedoch widerstreitende Gefühle – ja, eine Sehnsucht, dorthin zurückzukehren, aber zugleich die Angst davor, wieder in diesen Schlund voller Gesichter, Gerüche und unaufhörlicher Berührungen hinabgezogen zu werden.
    Ich versuchte, all das zum Ausdruck zu bringen. Peter machte eine Halloween-Geste: »Sie werden deine Seele fressen!«
    Ich fand das nicht komisch.
    Nach dem Essen schlenderten wir zum Hotel zurück. Aber es war eine schöne Nacht, staubig und nicht kalt, und wir waren in Rom, Herrgott noch mal. Deshalb machten wir bei einem alimentari Halt, einem Lebensmittelgeschäft, wo ich eine Flasche limoncello kaufte. In der Nähe des Hotels gab es eine kleine Grünfläche mit Brunnen, Zigarettenstummeln und Hundehaufen. Wir fanden eine relativ saubere Bank und setzten uns. Der limoncello war ein Zitronenlikör, der an der Küste in der Nähe von Sorrent hergestellt wurde. Es war leuchtend gelb und so süß, dass er an den Zähnen kleben blieb. Aber er schmeckte ganz gut, nachdem wir unsere Mundschleimhäute mit den ersten

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