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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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gewesen sein. Das Gelände war menschenleer, die Imbissstände waren für die Nacht verschlossen. Aber die Luft war frisch und roch nach den Zitronenbäumen in dem verlotterten Park. Ich atmete tief ein und versuchte, den unterirdischen Löwengestank loszuwerden.
    Doch als Rosa sich verabschiedet hatte und ich dort stand, außerhalb der Krypta, fühlte ich mich auf einmal mutterseelenallein.
    Ich verließ das Katakombengelände und machte mich auf die Suche nach einem Taxi. Als ich ein paar Blocks entfernt eines fand, schreckte ich vor dem Gesicht des Fahrers zurück. Es war dunkel, mit tiefbraunen Augen; ein völlig normales, ja sogar gut aussehendes menschliches Gesicht, aber anders als meins.
    Rosa hatte mich auf meine Bitte hin durchaus taktvoll gehen lassen. Erst später, als ich über den Tag nachdachte, wurde mir klar, dass sie bei unserer ersten Begegnung in jenem Café beschlossen hatte, mich für den Orden zu rekrutieren – während ich noch damit zurechtzukommen versuchte, dass ich nun plötzlich zum ersten Mal seit der Kindheit meine Schwester wiedertraf. Anfangs hatte sie mich instinktiv ausschließen wollen; aber am Ende unserer Begegnung hatte sie beschlossen, mich irgendwie einzuweihen. Und alles, was sie mir gezeigt hatte, alles, was sie von diesem Augenblick an gesagt und getan hatte, war auf dieses Ziel ausgerichtet gewesen. Es hatte nicht das Geringste mit mir zu tun.

 
40
     
     
    Francesca schlenderte mit ihrem Begleiter durch die civitas Leonina.
    Leo Frangipani wollte Francesca von den Plänen des Papstes erzählen, das kommende Jahr 1300 zum Heiligen Jahr auszurufen. »Es wird ein Wunder sein«, sagte er. »Sie denken darüber nach, wie sie die heiligen Reliquien so zur Schau stellen können, dass sie damit maximale Einkünfte erzielen. Es heißt, die Priester übten bereits mit den Rechen, mit denen sie das Geld einstreichen werden, das die Menschen auf ihre Altäre werfen.« Er beobachtete sie. »Ah, Ihr missbilligt das! Diese Fischer im endlosen Strom der Einfältigen und Gläubigen, der sich durch Rom ergießt.«
    »Keineswegs«, sagte sie. »Jeder würde Diebstahl missbilligen. Aber die Pilger glauben, dass ihr Geld gut angelegt ist, und wenn es dazu dient, Rom zu erhalten, die Mutter der Welt, dann haben sie gewiss Recht.«
    »Mag sein. Ich weiß, dass ihr Frauen in Weiß es vorzieht, euer Geld zu verschenken. Ich werde nie begreifen, wie ihr überlebt.«
    Doch genau das tat der Orden nun schon seit über achthundert Jahren.
    Die civitas Leonina war eine Stadt in der Stadt. Ihr Zentrum war der vatikanische Hügel, wo Konstantins riesige, zerfallende Basilika stand, der Nabel der Christenheit. Das Gebiet war ein Wirrwarr von Klöstern, Logierhäusern, Kirchen, Kapellen, Tavernen und Einsiedlerzellen, in dem sich sogar ein Waisenhaus und ein insgeheim vom Orden unterhaltenes Armenhaus verbargen.
    Hier gab es ein großes Dienstleistungsangebot für die Pilger – oder, je nach Standpunkt, einen Haufen Leute, die darauf aus waren, Pilger von ihrem Geld zu trennen. Schuster reparierten abgelaufene Sohlen, Fleischer, Fischhändler und Obsthändler sorgten für das leibliche Wohl, und Bauern verkauften teilweise noch mit Dung verklebtes Stroh als Bettstatt. Andere boten Leinenstreifen feil, die das Grab eines Märtyrers berührt hatten, oder getrocknete Blumen, die angeblich auf dem Grab eines anderen gewachsen waren, und man konnte Kerzen, Reliquien, Rosenkränze, Ikonen und Fläschchen mit Weihwasser und Öl erstehen. Überall liefen Führer und Bettler herum, die nach Leichtgläubigen Ausschau hielten. Selbst am Fuß der Mauern von Konstantins Basilika drängten sich Geldverleiher, die mit lauter Stimme ihre Dienste anpriesen, klingelnde Münzen vor sich auf dem Tisch.
    Es war jedoch ein blühender und gedeihender Ort; für jeden Verkäufer gab es bestimmt zehn potenzielle Käufer – und wahrscheinlich ebenso viele Verbrecher, dachte Francesca nervös.
    Sie wusste, dass sie sich von der Menge abhob, obwohl sie das übliche weiße Ordensgewand gegen ein Kleid aus braun gefärbter Wolle eingetauscht hatte. Sie trug eine dicke Schicht Creme und Salbe auf dem Gesicht, um ihre Haut vor der ungewohnten Sonne zu schützen, und Gläser aus blauem Glas schützten Augen, die an den Lichtschein von Kerzen und Öllampen gewöhnt waren. Sie sah anders aus und wurde darum zweifellos von Bettlern und Dieben gleichermaßen aufs Korn genommen.
    Sie hatte jedoch keine Angst, denn ein Frangipani war bei

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