Der Orden
Lichtpfützen ihrer Anzuglampen verloren sich in der Schwärze.
Das Zischen einströmender Luft ertönte. Dann flackerten dicke Neonröhren in den Wänden auf, die ein grelles graues Licht spendeten. Abil schaute zu den Linien der Soldaten hinauf, die mit der Waffe im Anschlag auf dem Boden des zylindrischen Gangs standen.
Dower hob ihre behandschuhte Hand. »Hört ihr das?«
Sie lauschten schweigend. Geräusche wehten durch die neue Luft heran: gedämpfte Schritte jenseits der Wände, die leise tappend ins Nichts entschwanden. Und dann weitere Schritte – viele weitere, als käme ein ganzer Pulk auf sie zu.
»Sie haben Läuferinnen«, flüsterte Dower. »Im ganzen Labyrinth. Die patrouillieren überall. Wenn eine von ihnen ein Problem entdeckt, läuft sie davon, um eine andere zu suchen, und dann kommen sie beide zum Ausgangspunkt des Problems zurück, trennen sich und laufen wieder davon… Es ist ein ziemlich wirkungsvolles Alarmsystem.«
Hinter Abil ertönte ein Geräusch, das die neue, dicke Luft an sein Ohr trug. Nur ein paar Schritte unter ihm war ein weiterer Lukendeckel, der demjenigen glich, durch den sie hereingekommen waren. Auch daran saß ein Rad auf einer senkrechten Achse.
Das Rad drehte sich knirschend.
»Sie kommen«, sagte Dower und hob ihre Waffe. »Jetzt wird’s lustig.«
Die Tür glitt auf.
50
Momentan gehe ich nicht so gern unter Menschen. Im Zentrum und im Hafen von Amalfi wimmelte es selbst im Winter von Einheimischen und Touristen, hauptsächlich älteren Briten und Amerikanern, die wegen der Wintersonne hier sind.
Also unternehme ich Bergwanderungen. Die natürliche Vegetation auf dieser fruchtbaren vulkanischen Erde ist Waldland, aber weiter oben an den Hängen hat man Terrassen angelegt, um Platz für Olivenhaine, Weinberge und Obstgärten zu schaffen – vor allem Zitronen, die Spezialität der Region, obwohl ich schwöre, dass ich mich nie an limoncello gewöhnen werde; ich kriege ihn einfach nicht von den Zähnen.
Mir gefällt der Gedanke, dass Peter verstanden hätte, wie passend mein Rückzug nach Amalfi war. Zufälligerweise ist nämlich vor über hundert Jahren ein Mann namens Bedford, der Protagonist von H. G. Wells’ Die ersten Menschen auf dem Mond, nach seinen erstaunlichen Abenteuern auf dem Erdtrabanten hierher geflohen und hat hier seine Memoiren geschrieben. Ich habe ein Exemplar des Romans, ein ramponiertes altes Taschenbuch, in meinem Hotelzimmer.
Ja, es hätte Peter gefallen. Denn was Bedford und Cavor im Innern des Mondes vorfanden, war natürlich die Schwarmgesellschaft der Seleniten.
Ich hatte Lucia mit ihrem Baby auf dem ganzen Weg aus diesem Loch im Boden fest an der Hand gehalten.
Als wir uns ein Stück vom Schauplatz des Geschehens entfernt hatten, besorgte ich uns ein Taxi und nahm sie mit in mein Hotel. Mir fiel nichts anderes ein. Wir zogen einige komische Blicke des Personals auf uns, hatten aber immerhin Gelegenheit, uns zu beruhigen und zu säubern. Dann rief ich Daniel an. Seine Telefonnummer stand auf einer eselsohrigen Visitenkarte, die Lucia immer bei sich behalten hatte.
Peter war das einzige Todesopfer an jenem Tag. Er hatte seine Bombe wirklich sorgfältig platziert. Es fiel den Kriminaltechnikern nicht schwer, ihn anhand von Semtex-Spuren an seiner Kleidung und unter seinen Fingernägeln als Schuldigen zu identifizieren und den Zweck seiner kleinen Fernbedienungs-Radarkanone herauszufinden. Seine wahre Identität wurde rasch ermittelt, und er wurde mit der geheimnisvollen Gruppe in Verbindung gebracht, die den Bombenanschlag auf das Labor für geometrische Optik in San Jose verübt hatte.
Danach verlor sich die Spur jedoch, zu meinem Glück. Peter hatte sich unter falschem Namen in unserem Hotel angemeldet, und – soweit ich wusste – nie etwas von seiner Bombenbastelausrüstung dorthin gebracht. Das Hotelpersonal hatte nicht viel von ihm gesehen und schien das verschwommene Gesicht in den Fernsehnachrichten nicht zu erkennen. Offenbar hatte er sogar einen falschen Pass benutzt.
Trotzdem räumte ich mein Zimmer – ich bezahlte bar, ohne eine Nachsendeadresse im Hotel zu hinterlassen – und floh aus Rom nach Amalfi.
Ich nahm jedoch Peters gesamte verbliebene Habseligkeiten mit. Es wäre sicher ein Fehler gewesen, sie zurückzulassen. Und es kam mir ohnehin nicht richtig vor. Ich verbrannte alles, behielt allerdings seine Daten. Ich kopierte sie von seinen Geräten auf einen neuen Laptop, den ich in Rom gekauft
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