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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Gallien.«
    »Sie hat dein Gesicht in altes Leder verwandelt. Schade – früher hast du weitaus besser ausgesehen.«
    Amator schaute finster drein.
    Sein Freund lachte. »Sie hat dich durchschaut, Amator.« Er hatte einen starken, beinahe unverständlichen Akzent. »Du hast ihn mit deinem Schwert durchbohrt, junge Dame; jeden Morgen verbringt er ungeheuer viel Zeit damit, sich die Wangen einzucremen und zu pudern, um seine helle Hautfarbe wiederzubekommen.« Sein Name war Athaulf, wie sich herausstellte; er verneigte sich und küsste ihr die Hand. Sein auffälliger Barbarenschmuck funkelte. »Ein hübsches Gesicht und eine scharfe Zunge«, sagte er.
    Amator sagte: »Aber du, Regina, du bist noch schöner geworden – aber vielleicht hätte ich dich nicht so lange allein lassen sollen, wenn diese staubtrockene Theologie der Höhepunkt deines Lebens ist.«
    Sie seufzte. »Das Leben war ein bisschen langweiliger, seit du fortgegangen bist, Amator«, gestand sie. Langweiliger und ohne die Scharfkantigkeit, das Funkeln, das Kribbeln der Gefahr, die sie immer mit Amator in Verbindung gebracht hatte.
    »Nun bin ich ja wieder da…«
    »Und schon ruft die Arbeit«, erinnerte ihn Athaulf. »So schwer es mir fällt, mich von der jungen Dame loszureißen, sind wir nicht mit diesen Grundbesitzern verabredet?«
    »Sind wir, sind wir. Ich bin jetzt Geschäftsmann, Regina. Geschäft, Eigentum, Reichtum, äußerst wichtige Dinge jenseits des Meeres. Deshalb muss ich mich mit alten Scheintoten wie meinem Vater abgeben, obwohl ich viel lieber mit dir meine Zeit verbringen würde.«
    »Aber deine Geschäfte dauern doch nicht den ganzen Tag«, sagte sie so gelassen, wie sie konnte.
    »Nein, in der Tat.« Er warf Athaulf einen Blick zu. »Ich sage dir was. Warum feiern wir kein Fest?«
    Sie klatschte in die Hände, obwohl ihr bewusst war, dass sie kindlich wirken musste. »Oh, wie schön! Ich sage Carausias, Cartumandua und Marina Bescheid. Wir werden den Hof vorbereiten…«
    »O nein, nein«, unterbrach er sie sanft. »Von dieser traurigen Truppe wollen wir uns doch nicht die Stimmung verderben lassen. Feiern wir unser eigenes Fest! Komm zum Badehaus. Sagen wir, kurz nach Sonnenuntergang?«
    »Zum Badehaus? Aber dort geht niemand mehr hin. Es hat kein Dach!«
    »Umso besser, umso besser; nichts eignet sich besser als ein wenig verblichene Größe, um das Blut zum Fließen zu bringen. Also, nach Sonnenuntergang.« Er hob eine Augenbraue. »Außer du bist mit deiner Theologie im Rückstand und musst noch etwas nachholen.«
    »Ich werde da sein«, sagte sie ruhig. »Einen guten Tag, Amator. Und dir auch, Athaulf.« Damit drehte sie sich um und ging mit schwingenden Hüften davon; sie war sich bewusst, dass sie ihr stumm nachschauten.
    Doch sobald sie aus ihrem Blickfeld verschwunden war, rannte sie in den Hügel hinunter bis nach Hause.
     
    Schon in den wenigen Jahren, die sie nun hier lebte, war es immer schwerer geworden, sich einen Weg durch die Straßen Verulamiums zu bahnen.
    Einige der verlassenen, dachlosen, von Bränden ausgehöhlten Häuser waren endgültig am Einstürzen. Der Diebstahl von Schindeln und Mauersteinen hatte den Verfall beschleunigt, obwohl er nachgelassen hatte, weil die meisten neuen Bauten aus Flechtwerk und Lehm bestanden und niemand mehr viel Verwendung für Steine hatte. Pflanzen sprossen auf Mauern und Simsen. Die ehemaligen Obst- und Ziergärten waren von Unkraut überwuchert: Löwenzahn, Gänseblümchen, Weidenröschen. In einigen schon vor längerer Zeit aufgegebenen Gärten wuchsen die Büsche und Schösslinge hüfthoch oder höher. Da die Einwohnerzahl der Stadt kontinuierlich gesunken war, hatte niemand diese brachliegenden Flächen auch nur als Weideland genutzt. Die wenigen neuen Gebäude – nur Flechtwerk und Lehm mit primitiven Strohdächern – waren zumeist auf den alten Straßen erbaut, wo die Gefahr einstürzenden Mauerwerks am geringsten war. Man musste also die Straße verlassen und die Häuser umgehen, über Schutthaufen klettern, an zerstörten Abzugsrinnen und verstopften Abwasserkanälen vorbeigehen, die niemand mehr reparierte, und den Kindern, Hühnern und Mäusen ausweichen, die überall herumliefen.
    Einmal kam sie an einem Grab vorbei, das auf primitive Weise in die nackte Erde gegraben und mit einer Holztafel gekennzeichnet war. Genau genommen war die Beerdigung innerhalb der Stadtmauern nach wie vor gegen das Gesetz, genauso wie unter der römischen Herrschaft. Aber die

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