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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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existiert, Gina. Oder zumindest existiert hat.« Ich erzählte ihr von dem Foto.
    Seufzend drehte sie sich zu mir um. »Und jetzt fragst du mich.«
    »Du musst es wissen. Du musst miterlebt haben, wie sie geboren wurde, wie sie aufgewachsen ist…«
    »Ich will nicht daran denken.«
    »Sag mir die Wahrheit.« Meine Stimme wurde härter. »Ich finde, das bist du mir schuldig, Gina. Du bist meine Schwester, Herrgott noch mal. Du bist alles, was ich noch habe. Und so weiter. Ich weiß sogar, wohin man sie geschickt hat – auf eine Art Schule, die von einem religiösen Orden in Rom betrieben wurde. Dem Mächtigen Orden der…«
    »Heiligen Maria, Königin der Jungfrauen.« Mir war klar, dass sie es gewusst haben musste, aber es versetzte mir trotzdem einen Schock, diese Worte aus ihrem Munde zu hören. »Ja, sie haben sie dorthin geschickt. Sie war ungefähr fünf, glaube ich.«
    »Weshalb ist sie denn weggeschickt worden – und warum ausgerechnet nach Italien?«
    »Denk daran, dass ich damals selbst noch ein Kind war, George… Rate mal. Aus dem einfachsten Grund, den es gibt.«
    »Geld?«
    »Genau. Ich war ungefähr drei, als du zur Welt kamst. Mum und Dad hatten sich sehr lange überlegt, ob sie noch ein weiteres Kind großziehen könnten. Du weißt ja, wie zögerlich Dad war. Nun ja, Mum wurde also wieder schwanger, aber sie hatten nicht damit gerechnet, dass es Zwillinge sein würden – du und Rosa.«
    »Wir waren Zwillinge?« Verdammt, das hatte ich nicht gewusst. Noch ein Schlag vor den Kopf.
    »Kurz nach eurer Geburt gerieten sie dann in Schwierigkeiten. Dad wurde arbeitslos, glaube ich. Das ganze Timing war einer von Gottes kleinen Scherzen. Sie haben mir nicht viel erzählt, aber es war bestimmt ganz schön hart: Ich erinnere mich noch, dass sie darüber gesprochen haben, das Haus zu verkaufen. Sie schrieben an Verwandte und baten sie um Rat und Hilfe. Dann kam dieses Angebot von dem Orden. Er wollte Rosa aufnehmen, sie zur Schule schicken und sich um sie kümmern. Plötzlich warst nur noch du da, und sie waren wieder in der Position, mit der sie gerechnet hatten, als sie sich für ein zweites Kind entschieden hatten.«
    Ich verspürte ein seltsames Gemisch von Gefühlen – Erleichterung, Neid. »Warum sie und nicht ich?«
    »Der Orden nimmt nur Mädchen auf.«
    »Weshalb ist sie nicht zurückgekommen?«
    »Vielleicht hat der Orden bestimmte Regeln«, sagte Gina. »Ich weiß es nicht. Ich war bei den Gesprächen nicht dabei.«
    Ich fragte mich kurz, wieso Dad dem Orden auch lange nach dem Abschluss von Rosas Ausbildung weiter Geld geschickt hatte, wenn meine Eltern immer so knapp bei Kasse gewesen waren, wie sie behaupteten.
    »Sie haben mir nie etwas von Rosa erzählt«, sagte ich. »Kein einziges Wort.«
    »Was hätte das schon gebracht?… Ich habe mir geschworen, dass mir das nicht passieren würde«, entfuhr es Gina plötzlich.
    »Was?«
    »So arm zu sein, dass man sein eigenes Kind weggeben muss. Und so weiter.« Sie starrte die Wand an.
    Ich hatte ausnahmsweise einmal das Gefühl, sie zu verstehen. Bisher hatte ich die Angelegenheit immer nur aus meinem Blickwinkel betrachtet. Aber Gina war alt genug gewesen, um zu begreifen, was geschah, obwohl sie damals natürlich selbst nur ein hilfloses Kind war. Als Rosa fortgeschickt wurde, musste sie Angst gehabt haben, als Nächste dran zu sein.
    Impulsiv legte ich ihr eine Hand auf den Arm. Sie zog ihn weg.
    »Mum und Dad haben bestimmt geglaubt, sie täten das Beste für Rosa«, sagte sie.
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe keine Kinder. Aber ich verstehe nicht, wie eine Mutter ihr kleines Kind einem religiösen Orden voller fremder Menschen anvertrauen kann.«
    Sie runzelte die Stirn. »So war es ja nicht. Was weißt du über den Orden?«
    »Ich kenne seinen Namen. Und ich weiß, dass er in Rom sitzt.« Der Orden hatte mich zwar gebeten, Dads Zahlungen weiterzuführen, was ich abgelehnt hatte, ansonsten aber nicht auf meine gemailten Bitten um Informationen geantwortet. »Ach ja, und diese Genealogie-Geschichte.«
    »Das ist nicht mal die Hälfte, George. Der Orden gehört zur Familie. Zu unserer Familie. Aus diesem Grund ist Onkel Lou überhaupt nur mit ihm in Kontakt gekommen.«
    »Lou?« Er war der Onkel meiner Mutter, mein Großonkel.
    »Während des Krieges war er beim Militär – beim amerikanischen Militär. Bei Kriegsende war er in Italien, und dort ist er irgendwie auf ihn gestoßen. Den Orden. Und er hat festgestellt, dass sie uns als eine

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