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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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Art verloren geglaubten Zweig der Familie betrachtet haben.«
    »Wieso das?«
    »Wegen Regina.«
    »Wie bitte? Doch nicht das römische Mädchen… Das ist doch bloß eine Familiensage.«
    »Keine Sage. Es ist historisch verbürgt, George.«
    »Unmöglich. Niemand kann seinen Stammbaum so weit zurückverfolgen. Nicht mal die Queen, Herrgott noch mal.«
    Sie zuckte die Achseln. »Wie du meinst. Jedenfalls hat Lou immer den Kontakt zum Orden gehalten, und später, als Mum und Dad in Schwierigkeiten geraten sind…«
    Ich musterte sie. »Dad hat diesem verfluchten Orden Geld überwiesen. Tust du das auch?«
    »Nein, verdammt«, fuhr sie mich an. »Hör zu, George, nimm mich nicht ins Kreuzverhör. Ich will eigentlich gar nicht über die Sache reden.«
    »Nein, das wolltest du nie, stimmt’s?«, sagte ich kalt. »Du hast das alles hinter dir gelassen, als du hierher gekommen bist.«
    »Ja, weg von dieser engen kleinen Insel mit ihrer erstickenden Geschichte. Und weg von unserem düsteren Familienquatsch. Ich wollte, dass meine Kinder hier aufwachsen, mit viel Licht und Raum. Kannst du mir das verdenken? Aber jetzt hat es mich bis hierher verfolgt.« Ihr wurde bewusst, dass sie die Stimme erhoben hatte. Nur eine Schirmtür trennte diesen Teil der Küche vom Essbereich.
    »Gina, glaubst du, alle Familien sind so wie unsere?«
    »Auf die eine oder andere Art«, sagte sie. »Wie große Bomben, und wir alle verbringen den Rest unseres Lebens damit, uns einen Weg durch die Trümmer zu bahnen.«
    »Ich werde sie suchen.« Ich traf die Entscheidung, während ich sprach. »Ich werde Rosa finden.«
    »Warum?«
    »Weil sie meine Schwester ist. Meine Zwillingsschwester.«
    »Wenn du glaubst, dass es dir hilft, Ordnung in deine verdrehten Gehirnwindungen zu bringen, dann lass dich nicht aufhalten. Aber ganz egal, was passiert, was immer du herausfindest, verschone mich damit. Das ist mein Ernst.« Sie schloss tatsächlich die Augen und den Mund, als wollte sie mich ausgrenzen.
    »In Ordnung«, sagte ich sanft. Ich überlegte rasch. »Was ist mit Onkel Lou? Lebt er noch? Und wenn ja, wo?«
    Er lebte noch, und zwar – wie sich herausstellte – nicht weit von Gina. »Florida ist ein Paradies für die reiferen Jahrgänge«, sagte sie trocken.
    »Hast du seine Adresse? Und du hast doch bestimmt auch Kontakt zu dem Orden. Eine Adresse – vielleicht einen Mittelsmann. Dad hat dir die verdammte Standuhr gegeben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er dir nicht auch eine Adresse gegeben hat, über die du mit deiner Schwester Kontakt aufnehmen könntest. Komm schon, Gina.«
    »In Ordnung«, sagte sie abweisend. »Ja, es gibt einen Kontaktmann. Einen Jesuiten-Pater in Rom.«
    »Hast du das überprüft?«
    »Was glaubst du wohl?«
    »Aber du gibst mir die Adresse.«
    »Ich gebe dir die Scheiß-Adresse. Und jetzt«, in tonlosem, brutalem Manchester-Dialekt, »verpiss dich aus meiner Küche.«
    Die Jungs hatten nicht verstanden, worüber wir geredet hatten, aber sie hatten den Ton unserer Stimmen gehört. Wir aßen unseren Sommerpudding in unbehaglichem Schweigen. Dan sah mich nur abwägend an.

 
11
     
     
    »… Der Gedanke, dass der Mensch seit der Erschaffung der Welt mit angeborenen Fehlern behaftet sei, ist nur ein künstliches Erzeugnis unserer schwierigen Zeit. So wie der kluge Bauer seine Ernte einfährt und seinen Wintervorrat beiseite legt, so wird sich ein Gerechter durch gute Taten, Liebe und die Freude Christi seinen Eintritt in Gottes ewiges Königreich verdienen…«
    Die Stimme des christlichen Philosophen war hoch und dünn, und nur Bruchstücke dessen, was er zu sagen hatte, wurden von der sanften Brise, die über die Hügelkuppe wehte, an Reginas Ohr getragen. Die Menge, die sich um sie drängte, tat ihr Bestes, um seine Worte ebenso zu verstehen wie die Erwiderungen der konkurrierenden Denker, die diese »pelagische Häresie« zurückwiesen und den deprimierenden Gedanken vorzogen, dass die Menschen mit hässlichen, befleckten Seelen in diese Welt geboren wurden.
    Sie unterdrückte ein Seufzen, und ihre Aufmerksamkeit schweifte ab. Es wollte schon etwas heißen, dachte sie, wenn das aufregendste Ereignis in ihrem Leben eine Debatte zwischen zwei Splittersekten der Anhänger Christi war. Eigentlich mochte sie die Christen nicht; sie fand ihre Intensität und ihre Angewohnheit, mit ausgebreiteten Armen und erhobenen Händen und Gesichtern zu beten, beunruhigend und unsympathisch. Aber sie wussten wenigstens, wie man sich

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