Der Orden
– sie zermahlte sie mit einem so kleinen Stößel, dass sie ihn zwischen Daumen und Zeigefinger halten konnte, in einem ihrer kostbarsten Besitztümer, einem winzigen Mörser –, ließ sie Regina jedoch wissen, wie sehr sie all dies missbilligte. »Gutes Geld für Broschen, Haarnadeln und Halstücher auszugeben! Du weißt doch, worauf Carausias spart…«
In Britannien hatte sich die Lage immer weiter verschlechtert. Es war genau so, wie Aetius ihr vor langer Zeit zu erklären versucht hatte. Es hatte ein großes Rad aus Steuereinkünften und Ausgaben des Staates gegeben, wobei die Städte die Nabe waren; nun war dieses Rad jedoch zerbrochen. Die Städte hatten ihre Schlüsselfunktionen als Finanz-, Verwaltungs-, Verteilungs- und Handelszentren eingebüßt. Und jetzt, wo auch noch das Geld verschwand, konnte niemand kunstvolle Töpferwaren, Eisenwaren oder Kleidung kaufen, und die Handwerksbetriebe der Städte waren ebenfalls dem Zusammenbruch nahe. Carausias und die anderen Grundbesitzer befürchteten in zunehmendem Maße, dass die Städte für das Leben der Menschen auf dem Land, von denen letztendlich alles abhing, schlicht und einfach bedeutungslos wurden.
Mittlerweile hatten sich auch die stehenden Heere im Norden und an den Küsten aufgelöst, weil die Soldaten keinen Sold mehr bekamen, wie Regina nur allzu gut wusste. Es hieß, dass einige ihrer Führer sich als selbst ernannte Könige mit winzigen Herrschaftsbereichen etablierten. In seinem Streben nach Sicherheit hatte der Stadtrat von Verulamium sogar versucht, Kontakt zu den civitates aufzunehmen, den Stämmen im Norden und Westen, die immer ein gewisses Maß an Unabhängigkeit vom Imperium gewahrt und sich damit begnügt hatten, die kaiserlichen Steuern zu entrichten. Doch auch dort war nicht viel an Führung zu finden, und es gab zahlreiche blutige Konflikte zwischen kleinen Grüppchen und rivalisierenden Banden. Es war, als verfaulte Britannien, vom Imperium amputiert, wie eine abgetrennte Gliedmaße. Solange der Kaiser nicht zurückkehrte, um alles in Ordnung zu bringen, war auch keine nahe liegende Lösung in Sicht.
Verulamium war zwar ein bisschen heruntergekommen, aber im Augenblick war dort noch alles friedlich, wenngleich vom Land wilde Gerüchte über herumstreifende bacaudae und bösartige Barbarenhorden in die Stadt drangen. Regina bemühte sich zwar, nicht über all das nachzudenken, aber es erschien ihr manchmal wie die Ruhe vor dem Sturm.
Unterdessen hortete Carausias alles Münzgeld, das er in die Finger bekam.
Er hoffte, für die Familie eine Überfahrt von Britannien nach Armorica ergattern zu können, eine britannische Kolonie in Westgallien, wo ein Vetter von Carausias eine Villa besaß. In Armorica war das kaiserliche Mandat noch vollständig in Kraft, und es galt als Zuflucht für viele Angehörige der vermögenden Oberschicht Britanniens. Dort konnte die Familie, wie Carausias zu sagen pflegte, »so lange durchhalten, bis sich alles wieder normalisierte«.
Aber Carausias brauchte Münzgeld. Während die Wirtschaft der Städte derzeit hauptsächlich auf Tauschhandel beruhte, würden die Kapitäne der wenigen seetüchtigen Schiffe, die Londinium oder die anderen großen Häfen noch anliefen, Bezahlung nur in der Währung des Kaisers akzeptieren – und, wie es hieß, obendrein zu exorbitanten Tarifen.
Deshalb tadelte Carta Regina. »Es würde dem Onkel das Herz brechen, wenn er es wüsste.«
»Ach, Carta, nun lass mich doch in Ruhe«, erwiderte Regina und zog vor ihrem Handspiegel einen Flunsch, um zu sehen, ob ihre schwarze Lippenbemalung dick genug war. »Solche Sachen bekommt man nun mal nicht für eine Hand voll Bohnen. Man muss dafür bezahlen. Und es ist mein Geld; ich kann damit machen, was ich will.«
Carta stand vor ihr und mischte die Holzkohle auf einer kleinen Palette mit Öl. »Dein Taschengeld ist ein Geschenk von Carausias, Regina. Er möchte, dass du mit Geld umgehen lernst. Aber es ist nicht deins. Vergiss das nicht. Als du vom Wall hierher kamst, hattest du nichts als die Kleider, die du am Leib trugst…«
Das stimmte, wie sie im Lauf der Jahre erfahren hatte. Der arme Aetius hatte nur über seinen Soldatensold und ein paar magere Ersparnisse verfügt. Selbst sein Haus am Fuß des Walls gehörte dem Heer, wie sich herausstellte. Niemand wusste, wo das Geld ihrer Familie geblieben war. Es war nicht angenehm, an dieses Thema erinnert zu werden. Manchmal bedauerte es Regina, dass sie die Drachenbrosche
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