Der Orden
ihrer Mutter weggeworfen hatte. Sie hätte sie zwar niemals tragen, aber doch zumindest verkaufen können, dann hätte sie wenigstens etwas vom Reichtum ihrer Mutter gehabt.
Aber die ganze Angelegenheit war ein Ärgernis. »Ich weiß das alles«, sagte Regina mürrisch. »Ich will mich nur ein bisschen amüsieren, nur diesen einen Abend. Ist das zu viel verlangt?«
Carta seufzte, legte ihre Schminkpalette weg und setzte sich zu Regina. »Aber Kind, gestern war es auch ›nur dieser eine Abend‹. Und morgen wird es genauso sein. Und dann am nächsten Abend und dem folgenden… Wie soll das weitergehen? Du bist doch jetzt schon mit deinen häuslichen Pflichten im Rückstand – in der Küche, beim Putzen, in den Ställen.«
Regina schnitt eine Grimasse. Es fiel ihr schwer, sich ihre Zukunft vorzustellen, aber sie war davon überzeugt, dass das Säubern von Ställen nicht dazugehören würde.
Carta fuhr fort: »Und was ist mit deinem Studium? Aetius wäre enttäuscht, wenn er wüsste, dass du es praktisch aufgegeben hast.«
»Aetius ist tot«, sagte Regina. Aber es klang fröhlich, als wäre es ein Scherz. »Tot, tot, tot. Er ist gestorben und hat mich mit dir allein gelassen. Weshalb sollten mich seine Ansichten interessieren?« Sie stand auf und hüpfte leichtfüßig herum. »Ach, Carta, du bist so eine alte Frau geworden! Mit der Zukunft befasse ich mich, wenn es so weit ist. Was soll ich denn sonst tun?«
Carta starrte sie zornig an. Aber sie sagte nur: »Ach, komm her und sei still. Wir sind noch nicht fertig.« Sie bat Regina, sich herunterzubeugen, und malte ihr sorgfältig die Holzkohle um die Augen. »So«, sagte sie schließlich und hielt einen Handspiegel hoch.
Selbst Regina war verblüfft von dem Effekt. Die dunkle Holzkohlenpaste ließ ihre Augen erstrahlen, und das Rosa der leichten Wolltunika hob ihr Rauchgrau genau auf die richtige Weise hervor. Als sie ihre neuen bronzenen Ringe an die Finger steckte, wuchs ihre gespannte Erwartung. Sie dachte einen Moment lang an Aetius und an das Verantwortungsbewusstsein, das er ihr beizubringen versucht hatte. Du bist jetzt die Familie, Regina… Aber sie war jung, und ihr Blut war wie Wein; umgeben von ihrem Schmuck, ihren Kleidern und der Schminke fühlte sie sich leicht und luftig, wie ein Blatt im Wind, weit über den erdschweren, steinernen Sorgen, die von den matres verkörpert wurden.
»Carta«, sagte sie, »ich habe dir zugehört.« Sie hüpfte weiter durchs Zimmer. »Ich tanze nur.«
Carta rang sich ein Lächeln ab. »Und ich tanze vielleicht nicht genug. Also tanze. Tanze, so viel du kannst! Aber…«
»Ach, Carta, immer ein Aber!«
»Sieh dich vor, mit wem du tanzt.«
»Du meinst Amator?« Ihre lichtvolle Stimmung schlug in Ärger um. »Du hast ihn noch nie gemocht, nicht wahr?«
»Er war zu alt, und du warst zu jung, um so zu tändeln, wie ihr es getan habt.«
»Aber das ist Jahre her. Er ist jetzt anders, Carta.« Und ich bin es auch, dachte sie in einem dunklen, warmen, geheimen Kern ihres Ichs, der Möglichkeiten erwog, die sie sich nicht einmal selbst einzugestehen wagte. »Amator ist dein Vetter, Carta. Du solltest ihm vertrauen.«
»Ja, ich weiß.« Carta musterte sie. »Sei bloß vorsichtig, Regina.«
»Carta…«
»Versprich es mir.«
»Ja. In Ordnung. Versprochen.«
Zu Reginas Überraschung schloss Carta sie kurz in die Arme. Ein wenig verlegen traten sie voneinander zurück.
»Wofür war das?«
»Entschuldige, meine Kleine. Es ist nur… in dieser Aufmachung bist du einfach wunderschön. Dieses Feuer in deinen Augen, wenn du mit mir streitest – du hast eine innere Kraft, und das kann ich dir nicht verdenken. Und – nun, manchmal hast du so große Ähnlichkeit mit deiner Mutter.«
Sie hätte nichts sagen können, was Regina mehr bewegt hätte.
Regina strich ihr über die Wange. »Liebe Carta. Du musst dir keine solchen Sorgen machen. Jetzt hilf mir, die Haare zu richten; diese Knochennadel will einfach nicht dort bleiben, wohin ich sie stecke…«
Aber Cartas Gesicht – bereits faltig, obwohl sie erst Mitte zwanzig war – blieb von Sorge gefurcht.
Nicht lange nach Sonnenuntergang traf Regina sich bei dem alten Badehaus mit Amator und Athaulf. Amator hatte einen Krug Wein dabei.
Wie die Basilika hatte auch das Badehaus schon längst sein Dach verloren. Kuppeln, die an Eierschalen erinnerten, ragten in der Dunkelheit auf. Jemand hatte ein Loch in den prächtigen Mosaikboden des Hauptraums gegraben, das Mosaik
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