Der Orden
zerstört und die tesserae überall verstreut: Vielleicht war es ein christlicher Fanatiker gewesen, der etwas gegen ein heidnisches Bildnis gehabt hatte. Niemand wusste es, niemanden interessierte es.
Amator und Athaulf hatten ein Mädchen namens Curatia mitgebracht. Regina kannte sie nicht, wusste jedoch über sie Bescheid. Curatia war ungefähr in Reginas Alter und zeigte sich für gewöhnlich über und über behängt mit einer so prächtigen Sammlung von Haarnadeln, Schmuck und Schminke, wie man sie in Verulamium nur finden konnte. Aber, so ging der Klatsch, sie lebte allein und hatte keine ersichtlichen Mittel, um all diese Dinge zu bezahlen – keine außer ihrer Beliebtheit bei einer Vielzahl von Männern, von denen manche alt genug waren, um ihr Vater zu sein. Regina war ein wenig verwirrt, ein solches Mädchen hier anzutreffen; auf einmal erschien ihr der Abend beschmutzt.
Curatia hatte jedoch eine Leier dabei. Als sie spielte, wobei ihre schwarzen Haare wie ein Wasserfall über die Saiten fielen, musste Regina zugeben, dass ihre Musik sehr schön war. Und sobald sie angefangen hatte, von Amators Wein zu trinken, nahm Regina die Anwesenheit des Mädchens viel gelassener hin. Es war ein milder Herbstabend, die Mosaikfragmente und die Wandgemälde, die das Wetter überstanden hatten, waren schön und berührten sie, und selbst die hüfthoch wachsenden Unkräuter und Schösslinge sahen frisch und hübsch aus. Und als Amator und Athaulf die mitgebrachten Kerzen auf den Boden, die Wände und in die klaffenden Fenster gestellt hatten, wurden die Schatten tief, flackernd und vielgestaltig.
Amator und Regina saßen zusammen auf einem Mauerrest. Amator siebte den Schutt mit der Hand und förderte einen Haufen Austernschalen zutage. »Hier hat jemand einmal gut gespeist«, sagte er und ließ die Schalen mit einem Achselzucken fallen.
»Ich habe noch nie Austern gegessen«, sagte Regina sehnsüchtig.
»Oh, ich schon.«
Athaulf kroch in dem halb in Trümmern liegenden Gebäude umher, stocherte in Rissen und Spalten und tastete unter dem Boden herum. »Haben sie dort unten wirklich Feuer gemacht?«
»Das nennt man ›Hypokaustum‹, du Schweinejäger!«, rief Amator auf Lateinisch und schwenkte seinen Weinbecher. Zu Regina sagte er: »Du musst Athaulf vergeben. Im tiefsten Innern ist er noch immer ein armseliger Barbar.«
Regina lehnte sich an Amators Beine. »So einen Namen habe ich noch nie gehört. Athaulf.«
»Er ist Visigote. Und wie bei allen seinesgleichen klingt sein Name, als hustete man Schleim aus…«
Auch wenn er Visigote war, seine Familie hatte Macht in Gallien. Nach der katastrophalen Nacht, in der Barbaren aus Germanien den zugefrorenen Rhein überquert hatten, war es den römischen Militärbefehlshabern gelungen, die Provinz zu festigen, indem sie den Barbaren Land diesseits der alten Grenze überlassen hatten. Auf diese Weise war im Südwesten Galliens eine visigotische Föderation entstanden, deren Zentrum Burdigala war. Athaulf war ein reicher Mann und ein zuverlässiger Geschäftspartner für Amator.
Amator trank einen großen Schluck Wein. »Folglich stehen die Visigoten, die Barbaren sind, im Sold des Kaisers, um die lästigen bacaudae niederzuhalten, von denen viele römische Bürger sind. Das gibt einem doch zu denken.«
»Aber ich will nicht denken«, entgegnete Regina und hielt ihren Becher hoch, damit er ihr nachschenkte.
»Recht so.«
Athaulf stand im Schutt des Hypokaustums. »Schaut! Ich habe einen Eisenhaken gefunden!«
»Das ist ein strigil, du Wilder. Damit hält man seine Haut sauber. Ach, wirf ihn weg. Cura! Schluss mit dieser Trauermusik. Wir wollen tanzen!«
Mit einem Jauchzen beendete Curatia ihr sanftes Klagelied und stürzte sich in eine lebhafte, rhythmische Melodie, eine alte britannische Weise.
Amator stieß einen Jubelruf aus, zerrte Regina auf die Beine und nahm sie in die Arme. Sie begannen mit förmlichen Schritten, aber bald, als Athaulf sich zu ihnen gesellte, kletterten sie in dem alten Hypokaustum herum und liefen lachend an den Mauerresten entlang.
Als Regina in den Ruinen tanzte und die kühle Herbstluft sich mit dem berauschenden Wein und dem Duft der Kerzen mischte – und als Amators Beine die ihren streiften und sein Arm sich um ihre Taille legte –, spürte sie, wie ihre Trunkenheit zunahm, als brennte ihr Blut. Dieser Ort mit seinen zahlreichen Ebenen, dem vielfältigen Licht und Curatias flirrender, seltsam wehmütiger Musik kam ihr mit
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