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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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einem Mal so unwirklich und verzaubert vor, als wären sie in eine Wolke versetzt worden.
    Später lag sie auf einer dicken Wolldecke, die über die Steine der eingestürzten Mauer gebreitet war. Sie atmete schwer; das Blut in ihrem Kopf sang von dem wirbelnden Tanz. Amator lag neben ihr, auf den Ellbogen gestützt, und schaute auf sie herab. In der Art, wie er sie ansah, spürte sie seine alte Intensität. Aber der Kitzel der Furcht, den sie einmal verspürt hatte, war fort; nur Wärme war geblieben.
    »Ich wünschte, diese Nacht würde ewig dauern«, sagte sie erhitzt und atemlos. »Dieser Augenblick.«
    »Ja«, sagte er leise. »Ich auch.« Er legte sich neben sie, sein Arm über ihrem Bauch, und sie spürte, wie seine Zunge an ihr Ohr schnellte.
    Sie schaute zu den schweigenden Sternen hinauf. »Sie hat solche Feste gefeiert«, flüsterte sie.
    »Wer?«
    »Meine Mutter… Was meinst du, warum alles vor die Hunde geht? Die Stadt. Die alte Lebensweise der Menschen. Hier gibt es doch keine Barbaren.«
    »Keine außer herumtollenden Dummköpfen wie Athaulf.«
    »Also keine. Das Meer ist nicht zugefroren wie der Rhein, sodass die Barbaren zu Fuß hätten herüberkommen können. Und es gab keine Seuche, kein großes Feuer, bei dem alles verbrannt wäre. Alles hat einfach nur – aufgehört. Und jetzt kann Cartumandua keine neue Vase kaufen, weil niemand mehr Vasen macht, und Geld ist ohnehin nutzlos.«
    »Es war alles ein Traum«, sagte er leise. »Ein Traum, der tausend Jahre gedauert hat. Das Geld, die Städte, alles. Und als die Menschen aufgehört haben, an den Traum zu glauben, hat er sich in Luft aufgelöst. Einfach so.«
    »Aber sie werden wieder an ihn glauben.«
    Er schnaubte, und sie spürte seinen heißen Atem an ihrem Hals. »Hier nicht. Hier folgen sie einem anderen Traum, dem Traum von einem Mann an einem Kreuz und einem Märtyrergrab auf der Hügelkuppe.«
    »Nein, du irrst dich. Wenn wieder Normalität einkehrt…«
    Er beugte sich über sie; seine Augen waren schwarze Löcher, unergründlich, tief und freundlich. »Woanders geht der Traum weiter.«
    »Wo?«
    »Im Süden und im Osten. An den Küsten des Mittelmeers, in Barcino, Ravenna und Konstantinopel, ja sogar in Rom selbst… Dort gibt es noch Städte und Villen. Dort gibt es noch Feste, Wein, Parfüm und tanzende Menschen. Dorthin werde ich gehen.« Er beugte sich näher zu ihr. »Komm mit mir, Regina.« Seine Hand glitt unter ihre Tunika und streichelte ihren Schenkel.
    Ihr Blut geriet in Wallung; jede seiner Berührungen war wie Feuer. »Ich dachte, du magst mich nicht«, flüsterte sie. »Ich weiß, wie du mich bei meiner Ankunft angesehen hast. Aber du hast mich nie berührt. Und dann bist du fortgegangen.«
    »Ach, Regina – soll ich einen Apfel pflücken, bevor er reif ist? Aber…«
    »Was ist?«
    »Hat es einen anderen gegeben?«
    »Nein«, sagte sie und wandte das Gesicht ab. »Niemanden, lieber Amator.«
    Er fasste sie am Kinn und drehte ihr Gesicht zu sich. »Dann komm mit mir, kleine Regina, kleines Huhn. Komm mit nach Rom. Dort werden wir weitere tausend Jahre tanzen…« Sein Gesicht senkte sich auf ihres herab, und sie spürte, wie seine Zunge ihre Lippen erkundete. Sie öffnete den Mund, und er floss in sie hinein wie heißes Metall.
    Zuerst kam ein Schmerz, scharf und tief, aber er verwandelte sich bald in sinnlichen Genuss.
    Amator rollte von ihr herunter und wandte den Kopf ab. Ihr war merkwürdig kalt, und sie streckte die Hand nach ihm aus. Er kam zurück und füllte ihren Kelch mit Wein.
     
    Danach wurden ihre Gedanken fragmentarisch.
    Es gab nur vereinzelte klare Momente, verstreut wie die tesserae des zerstörten Mosaiks. Der scharfe Schmerz der Trümmer, die sich in ihren Rücken bohrten, wenn er auf ihr lag. Das Gefühl, blaue Flecken an den Beinen und am Bauch zu bekommen, als er zustieß. Athaulf, der mit geraffter Tunika auf der zerbrochenen Mauer stand und geräuschvoll auf den Boden draußen pisste, während Curatia ihm die Beine und den nackten Hintern massierte.
    Und dann, beim letzten Mal, ein anderes Gesicht, ein anderer Geruch, ein anderes Gefühl zwischen ihren glitschigen Schenkeln. Als er sich diesmal zurückzog, rülpsend und ohne sie anzusehen, war es nicht Amator, sondern Athaulf. Aber sie fühlte sich zu zerbrochen, zu losgelöst, um diesen Gedanken festzuhalten.
    Die allerletzte Erinnerung war ein schmerzerfülltes Getaumel durch die Straßen von Verulamium, wo sie bei jedem Schritt über ein

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