Der Orden
schon längst verschwunden, und das Licht kam von einer Flammenwand, die über den Umrissen der Dächer zu sehen war. Ein Krachen ertönte, dann weiteres Geschrei, und Funken stoben wie ein Schwarm winziger, leuchtender Vögel empor.
Regina lief zu Carta und fasste sie an der Hand. »Was ist das?«
»Ich glaube, das war die Basilika«, sagte Carta.
»Mag sein, dass es dort angefangen hat«, knurrte Carausias. »Aber es breitet sich rasch aus. All die Stände auf dem Forum. Die Strohdächer…«
»Es kommt auf uns zu«, sagte Carta.
Carausias’ Stimme klang bitter. »Früher hat es Freiwillige gegeben, die solche Brände gelöscht haben. Wir wären mit unseren Wasserschüsseln und unseren durchnässten Decken hingelaufen, und alles wäre gerettet worden – und wenn nicht gerettet, dann wieder aufgebaut, bis es besser gewesen wäre als zuvor…«
»Onkel«, fuhr ihn Carta an.
Er drehte sich um und sah sie mit großen Augen an. »Ja. Ja. Die Vergangenheit spielt keine Rolle mehr. Wir müssen fort. Selbst wenn das Feuer unser Haus verschont, ist die Stadt hinterher zerstört. Rasch jetzt, ihr alle…« Er drehte sich um und lief ins Haus, gefolgt von Severus und Marina.
Carta packte Regina an den Schultern. »Hol deine Sachen. Nicht mehr als du tragen kannst – nur, was du brauchst.«
»Carta…«
»Hast du gehört, was ich sage, Regina?«
»Wohin gehen wir? Nach Londinium? Und fahren wir von dort aus mit dem Schiff nach Armorica? Vielleicht treffen wir dort Amator…«
Carta schüttelte sie heftig. »Du musst mir zuhören! Amator ist fort. Ich weiß nicht, wo er ist. Und er hat Carausias’ Geld genommen.«
Es fiel Regina schwer, das zu verdauen. »Das ganze Geld?«
»Ja. All seine Ersparnisse.«
»Das Schiff…«
»Es gibt kein Schiff. Hörst du nicht zu, Kind? Wenn das Haus zerstört wird, haben wir gar nichts mehr.«
Es ist aus mit dem Tanzen, dachte Regina benommen, es ist endgültig aus. Und als sie an die wachsende Masse in ihrem Bauch dachte, spürte sie, wie in ihrem Innern die Panik emporstieg. »Wovon wollen wir denn dann leben, Carta?«
»Ich weiß es nicht!«, schrie Carta, und Regina erkannte ihre eigene Angst.
Ein neuerliches Krachen ertönte, als ein weiteres Gebäudeteil einstürzte. Von den Straßen draußen drangen Gebrüll, Geschrei und ein seltsames, krankhaftes Gelächter zu ihnen.
»Die Zeit wird knapp. Los, meine Kleine!«
Regina lief zu ihrem Zimmer. Sie zerrte die größte Tasche hervor, die sie tragen zu können glaubte, und schaufelte Kleider, Parfümfläschchen, Haarnadeln und Schmuck hinein, alles, was sie in diesen wenigen hektischen Sekunden zu fassen bekam.
Erst im allerletzten Augenblick dachte sie an die matres. Sie breitete eine Tunika aus, wickelte die kleinen Steingöttinnen sorgfältig hinein und stopfte sie in die Tasche. So klein sie waren, machten sie die Tasche dennoch auf unerklärliche Weise um vieles schwerer. Sie hievte die Tasche auf ihre Schulter und lief in den Hof hinaus.
Bald waren sie alle versammelt, Carausias, Carta, Marina und Severus, alle mit Taschen und Deckenbündeln beladen. Mittlerweile war der Feuerschein taghell, und der wogende Rauch erschwerte das Atmen.
Regina glaubte, Tränen in Carausias’ wässrigen Augen zu sehen. Aber er kehrte seinem Haus den Rücken zu. »Genug. Gehen wir.«
Halb laufend, über die Trümmer auf der Straße stolpernd, schlossen sich die vier einer unregelmäßigen Kolonne von Flüchtlingen an, die durchs Nordtor aus der brennenden Stadt ins kalte Land draußen strömten. Außerhalb der Stadt gab es keine Lichter, und die Nacht war bewölkt. Bald flohen sie in eine pechschwarze Dunkelheit.
12
Trotz der Spannungen mit Gina gedachte ich Onkel Lou ausfindig zu machen. Ich blieb ein paar Tage länger in Florida, übers Wochenende.
Einen Tag nach jenem unbefriedigenden Gespräch mit Gina bekam ich einen unerwarteten Anruf. Es war Michael. Er fragte mich, ob ich rüberkommen wolle, um mir den Start der Raumfähre anzusehen.
»Klar. Das heißt, wenn deine Mutter einverstanden ist. Gib sie mir mal.«
»Von mir aus«, sagte Gina.
Also fuhr ich hin. Der Start war für zwanzig Uhr angesetzt.
»Ich wusste gar nichts von dem Start«, sagte ich. »Zeigen sie ihn im Fernsehen?«
»Auf NASA TV, ja«, sagte Michael. »Aber man kann ihn von der Veranda aus sehen.«
Albernerweise wurde ich vor Staunen ganz kribbelig. »Ihr könnt von eurer Hintertür aus zusehen, wie ein Raumschiff startet?«
Der
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