Der Orden
ein Magistrat aus Verulamium Streitigkeiten über die Verteilung von Hühnereiern regelte und durch die Gegend reiste, um ihre zaghaften Kontakte mit den Nachbarn aufrechtzuerhalten. Sie hatte in sich selbst die Führungsqualitäten gefunden, ohne die – darin schienen sich alle einig zu sein – das Gehöft schon längst vor die Hunde gegangen wäre und sie alle bacaudae geworden wären, sofern sie überhaupt überlebt hätten.
Ihr selbst gefiel die Situation nicht besonders. Sie sagte sich immer wieder, dass sie nicht von Dauer sein würde. Aber vorläufig gab es für diese Aufgabe niemand Besseren als sie.
Zu ihrer Enttäuschung erfuhren sie in ihrer Abgeschiedenheit so gut wie nichts darüber, was in der Welt vorging. Es gab keine Nachrichten von der Rückkehr des Kaisers. Auf der alten Straße herrschte noch immer einiger Verkehr, und die Reisenden oder Flüchtlinge erzählten manchmal von Königen: Da gab es beispielsweise einen Cunedda in Wales und einen Coel im Norden, angeblich der letzte der dortigen römischen Befehlshaber, der sich nun zum Alten König stilisierte. Aus dem Osten kamen Gerüchte über einen gewissen Vitalinus, der sich Vortigern nannte – ein Name, der »Hochkönig« bedeutete – und es sich angeblich zur Aufgabe gemacht hatte, die alte Provinz zu vereinigen und vor den marodierenden Sachsen, Pikten und Iren zu schützen. Die Bewohner des Gehöfts hörten nie etwas von diesen großen Männern. »Wir werden schon merken, ob sie es ernst meinen«, pflegte Carausias zu sagen, »wenn der Steuereintreiber kommt.«
Aber es kam nie jemand. Und während Regina ihr Gehöft zu einer Oase des Wohlstands und der Sicherheit machte, gingen fast unmerklich mehr als zwanzig Jahre ins Land.
Als sie die Villa erreichten, trennten sich Regina und Brica und fingen an, die zerstörten Gebäude systematisch zu durchsuchen.
Die Villa hatte in einer natürlichen, grünen Senke mit schönem Blick auf die Hügel im Westen gelegen. Sie musste wirklich einmal imposant gewesen sein, dachte Regina – noch imposanter als die ihrer Eltern –, ein Komplex von sieben oder acht Steingebäuden um einen Hof herum, dazu Scheunen und andere kleinere Holzbauten in der Nähe.
Aber sie war schon lange, bevor Regina sie ausfindig gemacht hatte, verlassen worden. Ihre abgedeckten Dächer waren längst verfallen, und Unkraut überwucherte den Hof und arbeitete sich durch die Stockwerke langsam nach oben. Seither hatte die Natur ihren unerbittlichen Lauf genommen, und alles war immer schlimmer geworden. In einem Gebäude – vermutlich einem ehemaligen Badehaus – war der Boden von unten durch die sich ausbreitenden Wurzeln einer Esche aufgebrochen, und die Räume waren von welken Blättern übersät. Seit ihrem letzten Besuch im vorigen Herbst war eines der Steingebäude ausgebrannt, und das Feuer hatte die letzten Überreste des Daches verschlungen und im Innern ein verräuchertes Trümmerfeld hinterlassen.
Trotz der ganzen Schäden war der imposante Grundriss der Villa jedoch noch in dem gewaltigen, rechtwinkligen Muster ihrer Mauern und den Stümpfen der zerbrochenen Säulen zu erkennen, die einmal eine Kolonnade um den Hof gebildet hatten. Aber Regina fragte sich, wie lange es dauern würde, bis der Mörtel zerbröselte und die Steine verrotteten und nichts mehr blieb als ein paar Hügel im Grün. Es hatte den Anschein, als wäre die Welt selbst mit ihren Millionen Fingern aus Pflanzen und Insekten, Frost, Sonnenlicht und Feuer ein ewiger Feind, ein erbarmungsloser Zunichtemacher allen menschlichen Strebens.
Regina ging auf das größte Gebäude des Komplexes zu. Wahrscheinlich war es einmal ein Empfangszimmer gewesen. Das Dach war längst verschwunden, bis auf ein paar Stümpfe verrottender Balken. Der Boden war von einem Gemisch aus Erdreich und Blättern bedeckt, und der jahrelang dem Wetter ausgesetzte, bemalte Putz war in großen Placken von der Wand gefallen. Die Wände selbst waren heil, und der Raum beeindruckte noch immer durch seine schiere Größe. Aber die Möbel waren längst abtransportiert worden, und selbst die kleinen Nischen in den Wänden waren leer; die Öllampen, die einmal darin gestanden hatten, fehlten.
Regina ließ sich auf Hände und Knie nieder und fing an, den Schmutz zu durchkämmen. Nach derart langer Zeit war alles, was so groß war, dass man es mühelos sehen konnte, längst zerschlagen oder weggeschleppt worden. Wer jetzt noch etwas finden wollte, musste alles Zentimeter für
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