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Der Orden

Der Orden

Titel: Der Orden Kostenlos Bücher Online Lesen
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loszuwerden. Doch zuerst wies sie die jüngeren Männer an, die Kinder und Tiere zusammenzutreiben, während andere ihre einfachen Waffen überprüften – ein paar Schwerter und Messer aus Eisen, größtenteils jedoch Speere und Pfeile mit Holz- oder Steinspitzen. Währenddessen sollten andere unter Führung des hinkenden, alten Carausias, der schon über sechzig war, zur Villa zurückkehren und den Leichnam des Sachsen nach Möglichkeit von dort wegholen und verschwinden lassen. Der Rest seines Räubertrupps würde das Gehöft vielleicht doch noch ignorieren, wie es auch die anderen früher getan hatten – aber die Tötung eines ihrer Männer würden sie gewiss nicht hinnehmen.
    Als für alles gesorgt war, wollte Regina sich nur noch auf ihr Strohlager zurückziehen. Im Halbdunkel ihres Hauses rollte sie sich zusammen, als könnte sie der Welt entfliehen.
    Im Lauf der Jahre hatte sie vieles getan, um am Leben zu bleiben. Aber sie hatte noch nie einen Menschen getötet. Sie erinnerte sich an das kleine Mädchen, das einmal zu seiner Mutter gelaufen war, als diese sich für ihr Geburtstagsfest angekleidet hatte. Dieses Kind ist längst tot, dachte sie, und nun ist auch noch die letzte Spur von ihm verschwunden; und ich bin wie sein Geist oder sein Leichnam, der am Leben gehalten wird, aber immer weiter verwest.
    Allerdings nicht vergeblich. Arm oder nicht, sie wusste, was sie hier aufgebaut hatten – was sie aufgebaut hatte –, war etwas, worauf man stolz sein konnte, was sich zu bewahren lohnte.
    Aber nun waren die Sachsen hier. Und Regina musste entscheiden, was sie tun sollten.
     
    Als der Tag heraufdämmerte, war sie wach.
    Nach einer kurzen Morgentoilette zog sie eine alte Tunika über und legte einen alten Umhang an. Sie schlüpfte vom Hof und ging den Hang hinunter zum Sumpfland am Fluss.
    Auf irgendeiner Ebene hatte sie immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Aber sie hatte die Augen davor verschlossen, wohl in der Hoffnung, dass wieder Normalität einkehren würde, bevor es so weit wäre. Doch nun war der Tag der Prüfung da, und sie war voller Scham aufgewacht, weil ihre Leute, ihre eigene Tochter, dank ihrer Art, die Wirklichkeit zu verweigern, nun beklagenswert schutzlos waren. Sie hatten noch nicht einmal eine Palisade um das Gelände errichtet.
    Regina watete ins Wasser hinaus und wühlte im schwarzen, dicht mit Schilf bewachsenen Schlamm. Seit dem Frühling hatte es kaum geregnet, und der Wasserspiegel war niedrig. Sie hatte den verrosteten Eisendolch, den sie einst hier gefunden hatte, nicht vergessen und sich immer gefragt, ob noch mehr vom Schatz jenes längst verstorbenen Kriegers überdauert haben mochte. Wenn ja, enthielt er vielleicht bessere Waffen als ihre armseligen Holzstöcke und Pfeile mit Steinspitzen. Es war eine kümmerliche Idee, aber ihr fiel nichts Besseres ein.
    Als Brica den Hang herabgelaufen kam, hatte sie lediglich einen derart verrosteten Schild gefunden, dass er nicht mehr Schutz bot als ein Papyrus-Spielzeug.
    »Regina! O Regina! Mutter, was machst du hier? Du musst kommen!«
    Regina richtete sich überrascht auf. Rauch lag in der Luft. Er kam von Westen. »Exsuperius’ Hof«, sagte sie grimmig. »Die Sachsen…«
    Brica packte sie am Arm. »Wir haben Besuch«, sagte sie.
    »Wer ist es?«
    »Ich weiß es nicht… Du wirst schon sehen – du musst kommen.« Sie fasste ihre Mutter an der Hand und zog sie aus dem Morast. Zusammen eilten sie den Hang hinauf zum Gehöft.
    Eine Gruppe Soldaten stand vor dem größten Rundhaus. Ihre Hände lagen beiläufig am Heft ihrer Schwerter. Sie trugen Brustharnische aus Leder, kurze Tuniken und Wollhosen. Die Leute vom Gehöft standen in einer mürrischen Reihe vor den Soldaten. Unter ihnen war Bran, Exsuperius’ Enkel. Sein Gesicht war rußgeschwärzt, vielleicht vom Brand in seinem Zuhause, und er stand in erzwungenem Schweigen da, ein stummes Zeugnis für die Macht der Neuankömmlinge.
    »Unten auf der Straße sind noch mehr von ihnen«, flüsterte Brica. »Auch ein paar Pferdewagen mit einer Art Menschenkolonne dahinter. Ihr Anführer ist heraufgekommen und hat Einlass verlangt. Wir wussten nicht, was wir tun sollten – und du warst nicht da…«
    »Ist schon gut«, sagte Regina.
    »Sind das Sachsen?«
    »Ich glaube nicht.«
    Einer der Soldaten war größer als die anderen; er führte offensichtlich den Befehl. Er trug einen roten Umhang und einen kunstvollen Lederkürass mit eingearbeiteten Schnallen aus Metall. Er war

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