Der Osmanische Staat 1300-1922
der Nichtmuslime bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts.
Architektur
Sinän
Die wichtigsten Auftraggeber der Hauptwerke der osmanischen Baukunst
waren die Herrscherfamilie und hohe Würdenträger. Der Sultan, seine Mutter
und seine Wesire stifteten die großen Moscheen und ihre Nebenbauten. Noch im
19. Jahrhundert entstanden solche religiös-edukative Baukomplexe, die man mit
dem modernen technischen Terminus külliye bezeichnet. Bis zur Eroberung
Konstantinopels hat die osmanische Moscheearchitektur noch manche Gemeinsamkeiten mit dem spätbyzantinischen Kirchenbau. Unter dem „Reichsbaumeister" Sinän (1539?-1588) erreichte sie klassische Höhe. Sinän übernahm
Aufträge von drei Sultanen und vielen stiftungsfreudigen Damen und Staatsmännern. Ein Bauverzeichnis nennt 84 Freitagsmoscheen, 52 kleinere Gebetshäuser, 57 Medreses, 48 Bäder und zahlreiche weitere Werke wie Wirtschafts- und Wasserbauten. Die Moschee Sultan Ahmed I. am Istanbuler Hippodrom (1617), ein Bau von Mehmed Aga, steht noch in der klassischen Tradition.
Im 18. Jahrhundert vollzieht sich ein Stilwandel zum „Osmanischen Barock"
(Nüruosmäniye, 1748-1755).
Balyan
Die Baumeisterfamilie der Balyan schrieb seit dem späten 18. Jahrhundert
osmanische Architekturgeschichte. Alle Herrscher zwischen Mustafä III. (1757-
1774) und Abdülhamid II. (1876-1909) erteilten ihren Mitgliedern Aufträge. Am
bekanntesten sind die großen Freitagsmoscheen in Istanbul (Nusretiye, Dolmabah~e, Ortaköy, Välide Camii in Aksaray, Hamidiye in Yildiz). Die Balyans sind
aber auch die Schöpfer von Dutzenden großer und kleiner Paläste, Kasernen,
Schulen, Manufakturen, Kirchen und Hospitälern. Die ersten bekannten Vertreter der Familie schufen noch Bauten in der Tradition des osmanischen
Istanbul. Erst der 1826 geborene Nigogos wurde zum Studium nach Paris geschickt. 1878 ernannte ihn Sultan Abdülhamid II. zum „Oberstaatsbaumeister"
(ser mimär-i devlet). Die späteren Balyans haben nicht ohne weiteres westliche
Bauformen und ihre Dekorationen kopiert, sondern jeweils eigene Lösungen für
ihre muslimischen und armenischen Auftraggeber gefunden.
Melling, Fossati
d'Aronco
Der wichtigste Ausländer unter den Architekten der frühen Reformzeit war
Antoine-Ignace Melling (1763-1831), der unter Selim III. mehrere Serail-Bauten
entwarf und verwirklichte. Unter ausländischen Architekten, die im frühen
19. Jahrhundert in der Türkei wirkten, sind die aus dem Tessin stammenden
Gebrüder Fossati die bekanntesten. Gaspare Traiano (1809-1883) war über St.
Petersburg nach Istanbul gekommen, um den Neubau der russischen Botschaft zu
leiten. Bald erhielt er osmanische Staatsaufträge im Rahmen des Modernisierungsprogramms unter Abdülmecid (Universität, Archiv, Gewerbeschule,
Telegraphenamt). Für private Bauherren entwarf er unter anderem drei Theater.
Besonders bekannt wurde die mit seinem jüngeren Bruder Giuseppe (1822-1891)
unternommene Restaurierung der Hagia Sophia. Der Italiener Raimondo
d'Aronco (1857-1932) erhielt 1893 den Auftrag, Bauten für eine osmanische Landwirtschafts- und Gewerbeschau nach dem Muster der großen Universalausstellungen von London und Paris zu entwerfen. Dieses Projekt konnte
wegen eines Erdbebens nicht ausgeführt werden, doch hat dieser bedeutende
Vertreter des Jugendstils wichtige Spuren in der Türkei zurückgelassen (wie
Nebenbauten des Ylldtz-Palastes und das Mausoleum des $eyh Zäfir in Istanbul-Be§iktad). Ein Teil der Werke d'Aroncos in Istanbul folgt jedoch den eklektizistischen Vorstellungen des späten 19. Jahrhunderts. Dazu gehören Großbauten wie die „Kaiserliche Medizinschule", die er gemeinsam mit dem levantinischen Architekten Vallaury ausführte. Alexandre Vallaury (1850-1921)
war Abkömmling einer Istanbuler Familie und studierte an der tcole des Beaux
Arts in Paris. Nach seiner Rückkehr in die osmanische Hauptstadt trat er in enge
Beziehungen zu Osmän Hamdi (1842-1910), dem Begründer der Istanbuler
Kunstakademie. Vallaury schuf klassizistische Bauten wie das Archäologische
Museum (1891-1907), hat aber auch wichtige Schritte zu einem neoosmanischen Stil getan (Verwaltungsgebäude der Allgemeinen Schuldenverwaltung
von 1897). Mimär Kemaleddin (1870-1927) ist der Vertreter eines neuosmanischen Idioms, das sich nicht in historisierenden Zitaten erschöpfte, sondern
zum Teil zur reinen Formensprache der klassischen Jahrhunderte der osmanischen
Baukunst
Weitere Kostenlose Bücher