Der Osmanische Staat 1300-1922
türkischen Schriftsteller der Zeit, Nämik Kemäl und Ahmed
Midhat (1844-1912), veröffentlichten in den 1870er Jahren ihre ersten Romane.
Letzterer gehört zu den produktivsten Autoren der Zeit. Seine Bücher lassen fast
keines der mit der Verwestlichung der türkischen Gesellschaft verbundenen
Themen aus. Allgemein gelten aber erst die Romane Hälid Ziyä Usakligils
(1866-1945) als gelungene Beispiele der neuen Literaturgattung. Das gilt vor
allem für die Werke Mäi ve Siyäh („Blau und Schwarz", 1897) und A£k-t
Memnü' („Verbotene Liebe", 1899/1900).
Theater
Ibrahim $inäsi ist der Schöpfer des ersten türkischen Bühnenstücks $airin
Evlenmesi („Die Heirat des Dichters", 1859). Zu einer öffentlichen Aufführung
kam es jedoch erst sehr viel später (Saloniki 1908). Allerdings konnte das
Istanbuler Publikum schon in den Jahren zuvor aus dem Italienischen übersetzte Stücke in Pera/Beyoglu genießen. Die Schauspieltruppen bestanden in der Regel aus Armeniern. Die Hekimyan-Kompagnie durfte schon 1859 bei Hofe
auftreten. Die Autoren der ersten osmanischen Stücke hatten bestimmte Tabus zu
respektieren. So wurde der Schauplatz oft ins nichtmuslimische Milieu oder sogar
in fernere Länder verlegt. Auch politische Themen und militärische Figuren
durften in der Epoche Abdülhamid II. nicht auf die Bühne gebracht werden.
Nach der jungtürkischen Revolution (1908) beeilte man sich mit zahlreichen
Aufführungen der patriotischen Stücke Nämik Kemäls. Sein Schauspiel „Das
Vaterland oder Silistria" (Vatan yahut Silistre) war schon 1873 im Osmanli
Tiyatrosu im Altstadtquartier Gedik Pascha aufgeführt worden, doch hatte sein
Verfasser diesen Versuch mit einer mehrjährigen Verbannung zu büßen. Nämik
Kemäls Absicht war, die sich während des Krimkriegs entfaltenden „vaterländischen Gefühle" der Nation vorzuführen, nicht etwa seine „Fähigkeit als
Theaterautor" zu beweisen. Die meisten Stücke des produktiven Abdülhak
Hämid (1852-1937) kamen nicht auf die Bühne, sie haben aber als „Lesedramen" einen Platz in der türkischen Literaturgeschichte. Die Übergänge von
Übersetzungen zu Adaptionen und eigenen Stücken waren fließend. Oft
standen Moliere, Victor Hugo und Dumas Pere und Fils Pate. Verschiedene
italienische Opern wurden im Istanbuler Na'um-Theater aufgeführt, bevor sie
die übrigen europäischen Metropolen erreichten (z. B. Verdis „Trovatore").
Übersetzungen
Am Beginn der Übersetzungsliteratur aus westlichen Sprachen ins Türkische
stehen die kosmopolitischen phanariotischen Dragomane, d. h. Vertreter des
Istanbuler Griechentums (die man nach dem Stadtviertel Phanar/Fener nannte,
in dem sich noch heute das Ökumenische Patriarchat befindet). Sie dienten als
Dolmetscher der Pforte, aber auch ausländischen Gesandtschaften. Erst nach dem
griechischen Aufstand wurde mit der Tercüme Odas: („Übersetzungskammer")
eine Ausbildungsstätte für muslimische Sprachmittler geschaffen (1822). Griechen
und Armenier blieben aber weiter aktiv als Übersetzer von Sachbüchern und
literarischen Texten. Dennoch ist auffällig, daß wichtige griechische Texte wie
Teile der Ilias oder des neugriechischen Poems Erotokritos nicht von osmanischen
Griechen, sondern von Muslimen, in diesem Fall aus Albanien bzw. Kreta,
übertragen wurden.
Frühe Übersetzungen aus
westlichen Sprachen
Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kamen zahlreiche Werke der
westlichen Literatur in osmanisch-türkischer Sprache heraus. Die Übersetzung
von Fenelons Telemaque durch Yüsuf Kämil Pascha (1808-1876) erlebte allein
fünf Auflagen (ab 1859). Damit hatte die Diskussion über die angemessene
Sprachform einer Übersetzung ins Türkische eingesetzt. Viele Zeitgenossen
sahen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die Gefahr, die durch die zahlreichen Übersetzungen aus westlichen Sprachen der eigenen Literatur drohte.
„Eigene Literatur" war für die gelehrten Zeitgenossen grundsätzlich die gesamte
islamische Überlieferung. In diesem Traditionsstrom fehlten freilich die Großformen Roman und Theaterliteratur vollständig. Der Anteil der Übersetzungsliteratur unter den Druckschriften nahm ständig zu. In den Jahrzehnten der Regierung von Abdülhamid II. soll jedes vierte Buch eine Übersetzung
gewesen sein. Freilich, „wenn man ein wirkliches Bild davon gewinnen will, was
die Türken von französischer Literatur kennen, muß man sich also nicht an die
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