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Der Pakt der Liebenden

Der Pakt der Liebenden

Titel: Der Pakt der Liebenden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Connolly
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streitlustigere der beiden Betrunkenen. Er trug ein mit Ketchup und Hühnerfett verschmiertes T-Shirt der Patriots und hatte glasige Augen hinter der billigen Brille. Er war Mitte dreißig und trug keinen Ehering. Ein säuerlicher Geruch stieg von ihm auf. Er war ihr schon aufgefallen, als er gekommen war. Zuerst hatte sie gedacht, er stinke so, weil er sich nicht wusch, aber jetzt hatte sie den Verdacht, dass er irgendetwas absonderte, irgendetwas Schädliches, das sich mit seinem Schweiß vermischte.
    »Lass uns gehen, Ronnie«, sagte sein Freund, der größer, fetter und weitaus betrunkener war als sein Saufkumpan. »Ich muss mich hinhaun.« Er torkelte an ihr vorbei und murmelte eine Entschuldigung. Er trug ein schwarzes T-Shirt mit einem weißen Pfeil, der auf seinen Unterleib gerichtet war.
    Die Szene am Bildschirm veränderte sich wieder. Sie blickte hin­auf. Ein weiterer Mann, anders als der erste, der von gleißenden Lichtern erfasst wurde. Er wirkte verwirrt, so als wäre er aus dem Haus gelaufen und hätte mit Ruhe gerechnet, nicht mit diesem Chaos.
    Moment, dachte sie. Moment. Ich kenne dich. Ich kenne dich. Es war eine alte Erinnerung, die sie nicht recht unterbringen konnte. Sie spürte, wie sich etwas in ihr regte. Sie hatte ein Summen im Kopf. Sie versuchte es loszuwerden, aber es wurde lauter. Ihr Mund füllte sich mit Speichel, und sie nahm einen stärker werdenden Schmerz zwischen den Augen wahr, so als werde eine Nadel durch den Nasenrücken in ihren Schädel gestoßen. Ihre Fingerspitzen fingen an zu jucken.
    »Schau mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede«, sagte Ronnie, aber sie beachtete ihn nicht. Sie hatte Bilder vor Augen, Erinnerungsfetzen, Szenen aus einer Reihe alter Filme, nur dass sie in jedem die Hauptdarstellerin war.
    Wie sie Melody McReady in einem Teich in Idaho ertränkte, ihren Kopf unter Wasser hielt, während sich ihr Rücken zuckend krümmte und die letzten Luftblasen an der Oberfläche zerplatzten …
    Wie sie zu Wade Pearce sagte, er solle die Augen schließen und den Mund öffnen, ihm etwas Schönes versprach, eine große Überraschung, und ihm dann die Waffe zwischen die Zähne stieß und abdrückte, weil sie sich in ihm geirrt hatte. Sie hatte gedacht, er könnte derjenige sein – welcher? –, aber er war es nicht und hatte Fragen wegen Melody gestellt, seiner Freundin, und sie hatte seinen Verdacht gerochen …
    Bobby Faraday, wie er weinend vor ihr am Boden kniete, sie ­anflehte, wieder zu ihm zu kommen, während sie hinter ihn trat, das Seil aus der Satteltasche holte und es ihm um den Hals legte. Bobby wollte sie nicht in Ruhe lassen. Er redete unentwegt. Er war schwach. Er hatte bereits versucht, sie zu küssen, zu umarmen, aber er stieß sie jetzt ab, weil sie wusste, dass er nicht der Richtige für sie war. Sie musste ihn zum Schweigen bringen, verhindern, dass er seine Gelüste auslebte. Sie zog das Seil zusammen, worauf Bobby –  der starke, schlanke Bobby – mit ihr kämpfte, aber sie war stark, so stark, stärker, als es sich irgendjemand hätte vorstellen können …
    Eine Hand an einem Herd und das leise Zischen, als das Gas ausströmte, genauso wie es Jahrzehnte vorher in einem Haus ausgeströmt war, das einer Frau namens Jackie Carr gehörte, während das Mädchen darauf wartete, dass die Faradays starben, das Fenster gerade so weit geöffnet hatte, dass sie die Nachtluft einatmen konnte. Und dann der Lärm aus dem Schlafzimmer, als jemand zu Boden stürzte: Kathy Faraday, die schon fast ohnmächtig war und versuchte, in die Küche zu kriechen, um das Gas abzustellen, während ihr Mann bereits tot im Bett lag. Das Mädchen hatte sich auf ihren Rücken setzen und sich den Mund zuhalten müssen, um sich vor dem Gas zu schützen, bis sie sicher war, dass die Frau nicht mehr lebte …
    Zeichen hinterlassen, einen Namen – ihren Namen, ihren richtigen Namen – an Stellen einritzen, wo andere ihn finden könnten. Nein, nicht andere, der Andere, der Eine, den sie liebte und der sie seinerseits liebte.
    Und sterben: sterben, als sich die Kugeln in sie bohrten und sie ins kalte Wasser fiel; sterben, während der Andere sein Blut auf sie vergoss, als sie auf dem Autositz nach vorn kippte und ihr Kopf auf seinem Schoß liegen blieb. Sterben, ein ums andere Mal, doch immer zurückkehren …
    Jemand zupfte sie am Arm. »Du Scheißfotze, ich hab gesagt –«
    Aber Emily hörte nicht zu. Das waren nicht ihre Erinnerungen. Sie gehörten jemand

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