Der Papalagi
man ihnen die Maschine ans Ohr hält, um ihnen Lust zu machen.
Solche Maschine, die sich leicht auf zwei flachen Fingern tragen läßt, sieht in ihrem Bauche aus wie die Maschinen im Bauche der großen Schiffe, die ihr ja alle kennt. Es gibt aber auch große und schwere Zeitmaschinen, die stehen im Innern der Hütten oder hängen auf den höchsten Hausgiebeln, damit sie weithin gesehen werden können. Wenn nun ein Teil der Zeit herum ist, zeigen kleine Finger auf der Außenseite der Maschine dies an, zugleich schreit sie auf, ein Geist schlägt gegen das Eisen in ihrem Herzen. Ja, es entsteht ein gewaltiges Tosen und Lärmen in einer europäischen Stadt, wenn ein Teil der Zeit herum ist.
Wenn dieses Zeitlärmen ertönt, klagt der Papalagi: »Es ist eine schwere Last, daß wieder eine Stunde herum ist.« Er macht zumeist ein trauriges Gesicht dabei, wie ein Mensch, der ein großes Leid zu tragen hat; obwohl gleich eine ganz frische Stunde herbeikommt.
Ich habe dies nie begriffen, als daß ich eben denke, daß dies eine schwere Krankheit ist. »Die Zeit meidet mich!« – »Die Zeit läuft wie ein Roß!« – »Gib mir doch etwas Zeit« – Das sind die Klagerufe des weißen Mannes.
Ich sage, dies möchte eine Art Krankheit sein; denn angenommen, der Weiße hat Lust, irgend etwas zu tun, sein Herz verlangt danach, er möchte vielleicht in die Sonne gehen oder auf dem Flusse im Canoe fahren oder sein Mädchen lieb haben, so verdirbt er sich zumeist seine Lust, indem er an dem Gedanken haftet: Mir ward keine Zeit, fröhlich zu sein. Die Zeit wäre da, doch er sieht sie beim besten Willen nicht. Er nennt tausend Dinge, die ihm die Zeit nehmen, hockt sich mürrisch und klagend über eine Arbeit, zu der er keine Lust, an der er keine Freude hat, zu der ihn auch niemand zwingt, als er sich selbst. Sieht er dann aber plötzlich, daß er Zeit hat daß sie doch da ist, oder gibt ihm ein anderer Zeit – die Papalagi geben sich vielfach gegenseitig Zeit, ja nichts wird so hoch geschätzt als dieses Tun – so fehlt ihm wieder die Lust, oder er ist müde von der Arbeit ohne Freude. Und regelmäßig will er morgen tun, wozu er heute Zeit hat.
Es gibt Papalagi, die behaupten, sie hätten nie Zeit. Sie laufen kopflos umher, wie vom Aitu 1 Besessene, und wohin sie kommen, machen sie Unheil und Schrecken, weil sie ihre Zeit verloren haben. Diese Besessenheit ist ein schrecklicher Zustand, eine Krankheit, die kein Medizinmann heilen kann, die viele Menschen ansteckt und ins Elend bringt.
Weil jeder Papalagi besessen ist von der Angst um seine Zeit, weiß er auch ganz genau, und nicht nur jeder Mann, sondern auch jede Frau und jedes kleine Kind, wieviele Mond- und Sonnenaufgänge verronnen sind, seit er selber zum ersten Male das große Licht erblickte. Ja, dieses spielt eine so ernste Rolle, daß es in gewissen, gleichen Zeitabständen gefeiert wird mit Blumen und großen Essensgelagen. Wie oft habe ich verspürt, wie man sich für mich zu schämen müssen glaubte, wenn man mich fragte, wie alt ich sei, und wenn ich lachte und dies nicht wußte. »Du mußt doch wissen, wie alt du bist.« Ich schwieg und dachte: Es ist besser, ich weiß es nicht.
Wie alt sein, heißt, wieviele Monde gelebt haben. Dieses Zählen und Nachforschen ist voller Gefahr, denn dabei ist erkannt worden, wieviele Monde der meisten Menschen Leben dauert. Ein jeder paßt nun ganz genau auf, und wenn recht viele Monde herum
1
Teufel
sind, sagt er: »Nun muß ich bald sterben.« Er hat keine Freude mehr und stirbt auch wirklich bald.
Es gibt in Europa nur wenige Menschen, die wirklich Zeit haben. Vielleicht gar keine. Daher rennen auch die meisten durchs Leben, wie ein geworfener Stein. Fast alle sehen im Gehen zu Boden und schleudern die Arme weit von sich, um möglichst schnell voranzukommen. Wenn man sie anhält, rufen sie unwillig: »Was mußt du mich stören; ich habe keine Zeit, siehe zu, daß du deine ausnützt.« Sie tun geradeso, als ob ein Mensch, der schnell geht, mehr wert sei und tapferer, als der, welcher langsam geht.
Ich habe einen Mann gesehen, dessen Kopf auseinander barst, der die Augen rollte und das Maul sperrte wie ein sterbender Fisch, der rot und grün wurde und mit Händen und Füßen um sich schlug, weil sein Diener einen Atemzug später kam, als er zu kommen versprochen hatte. Der Atemzug war für ihn ein großer Verlust, der nie zu sühnen war. Der Diener mußte seine Hütte verlassen, der Papalagi verjagte und schalt ihn:
Weitere Kostenlose Bücher