Der Papalagi
»Genug hast du mir Zeit gestohlen. Ein Mensch, der die Zeit nicht achtet, ist ihrer nicht wert.«
Nur ein einziges Mal traf ich einen Menschen, der viele Zeit hatte, der nie ihrer klagte; aber der war arm und schmutzig und verworfen. Die Menschen gingen im weiten Bogen um ihn herum, und keiner achtete seiner. Ich begriff solches Tun nicht, denn sein Gehen war ohne Hast, und seine Augen hatten ein stilles, freundliches Lächeln. Als ich ihn fragte, verzerrte sich sein Gesicht, und er sagte traurig: »Ich wußte nie, meine Zeit zu nützen, daher bin ich ein armer, mißachteter Tropf.« Dieser Mensch hatte Zeit, doch auch er war nicht glücklich.
Der Papalagi wendet seine ganze Kraft auf und gibt alle seine Gedanken daran, wie er die Zeit möglichst dick machen könne. Er nutzt das Wasser und Feuer, den Sturm, die Blitze des Himmels, um die Zeit aufzuhalten. Er tut eiserne Räder unter seine Füße und gibt seinen Worten Flügel, um mehr Zeit zu haben. – Und wozu alle diese große Mühe? Was macht der Papalagi mit seiner Zeit? – Ich bin nie recht dahinter gekommen, obwohl er immer Worte und Gebärden macht, als ob der große Geist ihn zum Fono geladen hätte.
Ich glaube, die Zeit entschlüpft ihm wie eine Schlange in nasser Hand, gerade weil er sie zu sehr festhält. Er läßt sie nicht zu sich kommen. Er jagt immer mit ausgestreckten Händen hinter ihr her, er gönnt ihr die Ruhe nicht, sich in der Sonne zu lagern. Sie soll immer ganz nahe sein, soll etwas singen und sagen, Die Zeit ist aber still und friedfertig und liebt die Ruhe und das breite Lagern auf der Matte. Der Papalagi hat die Zeit nicht erkannt, er versteht sie nicht, und darum mißhandelt er sie mit seinen rohen Sitten.
O ihr lieben Brüder! Wir haben nie geklagt über die Zeit, wir haben sie geliebt, wie sie kam, sind ihr nie nachgerannt, haben sie nie zusammen- noch auseinanderlegen wollen. Nie ward sie uns zur Not oder zum Verdruß. Der unter uns trete vor, der da keine Zeit hat! Ein jeder von uns hat Zeit die Menge; aber wir sind auch mit ihr zufrieden, wir brauchen nicht mehr Zeit, als wir haben und haben doch Zeit genug. Wir wissen, daß wir immer noch früh genug zu unserem Ziele kommen und daß uns der große Geist nach seinem Willen abberuft, auch wenn wir die Zahl unserer Monde nicht wissen. Wir müssen den armen, verirrten Papalagi vom Wahn befreien, müssen ihm seine Zeit wiedergeben. Wir müssen ihm seine kleine runde Zeitmaschine zerschlagen und ihm verkünden, daß von Sonnenaufgang bis
-untergang viel mehr Zeit da ist, als ein Mensch gebrauchen kann.
Der Papalagi hat Gott arm gemacht
D er Papalagi hat eine besondere und höchst verschlungene Art zu denken. Er denkt immer, wie etwas ihm selbst zu Nutzen ist und ihm Recht gibt. Er denkt zumeist nur für einen und nicht für alle Menschen. Und dieser eine ist er selbst.
Wenn ein Mann sagt: »Mein Kopf ist mein und er gehört niemandem anders als mir«, so ist dem so, ist dem wirklich so, und keiner kann einen Einwand dagegen haben. Niemand hat mehr Recht auf seine eigene Hand, als der, welcher die Hand hat. Bis hierher gebe ich dem Papalagi recht. Er sagt nun aber auch: die Palme ist mein. Weil sie gerade vor seiner Hütte steht. Geradeso, als habe er sie selber wachsen lassen. Die Palme ist aber niemals sein. Niemals. Sie ist Gottes Hand, die er aus der Erde uns entgegenstreckt. Gott hat sehr viele Hände. Jeder Baum, jede Blumen, jedes Gras, das Meer, der Himmel, die Wolken daran, alles dies sind Hände Gottes. Wir dürfen danach greifen und uns freuen: aber wir dürfen doch nicht sagen: Gottes Hand ist meine Hand. Das tut aber der Papalagi.
»Lau« heißt in unserer Sprache mein und auch dein: es ist fast ein und dasselbe. In der Sprache des Papalagi gibt es aber kaum ein Wort, das mehr zweierlei bedeutet, als dieses Mein und Dein. Mein ist, was nur und alleine mir gehört. Dein ist, was nur und alleine dir gehört. Darum sagt der Papalagi für alles, was im Bereiche seiner Hütte steht: es ist mein. Niemand hat ein Recht darüber, außer er selbst. Wo du zum Papalagi kommst, und wo du etwas bei ihm siehst, sei es eine Frucht, ein Baum, ein Wasser, ein Wald, ein Häuflein Erde – immer ist irgend jemand nahe, der sagt: »Dies ist mein! Hüte dich, nach dem zu greifen, was mein ist!« Greifst du aber dennoch danach, so schreit er, nennt dich einen Dieb, welches Wort eine große Schande bedeutet, und dies, nur weil du wagtest, ein Mein deines Nächsten zu berühren. Seine
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