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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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hellblau und orange gesprenkelt, Bandra. Mit einem guten Fernglas konnte man sogar Nariman Point sehen, übers Wasser nicht weit, auf leeren nächtlichen Straßen aber mindestens eine Stunde entfernt. Plötzlich spürte Sartaj einen Schmerz in der Brust. Es war, als rieben zwei stumpfe Steine aneinander und erzeugten nicht Feuer, sondern ein stetes trübes Glühen, ein beharrliches, unruhiges Verlangen. Es stieg in seinen Hals auf, und sein Entschluß war gefaßt.
    Zwölf Minuten rasanter Fahrt brachten ihn durch die Unterführung auf die Schnellstraße. Die leeren Fahrbahnen und das Steuer, das so lässig an seinen Fingern entlangglitt, berauschten ihn, und er fuhr so schnell, daß er lachen mußte. Doch zwischen den hell erleuchteten Geschäften in Mahim staute sich der Verkehr, und plötzlich ärgerte sich Sartaj über sich selbst und wäre am liebsten umgekehrt. Die Frage kam mit dem Trommeln seiner Finger auf dem Armaturenbrett: Was tust du? Was tust du? Wohin fährst du mit dem Wagen deiner Ex-Frau, den sie dir freundlicherweise gelassen hat und der auf dieser grauenhaften Schlaglochpiste unter deinem Gaand 199 auseinanderfallen könnte? Aber es war zu spät, er hatte schon die halbe Strecke hinter sich, und obwohl der erste freudige Elan verflogen war, fuhr er weiter. Bis er geparkt hatte, war es fast eins, und inzwischen war er todmüde. Aber er war nun einmal da, und als er auf das Cave zusteuerte, sah er, daß sich an der Hintertür, dem einzigen nach der Sperrstunde um halb zwölf noch geöffneten Eingang, Leute drängten.
    Sie traten zurück, um ihn durchzulassen. Er war zwar älter als sie, viel älter vielleicht sogar, aber für ihre neugierigen Blicke und ihr Schweigen gab es keinen Grund. Sie trugen glänzende weite Hemden und kürzere Röcke, als er sie je gesehen hatte, und sie machten ihn ganz nervös. Als er die Tür nicht gleich aufbekam, hielt sie ihm ein Mädchen mit einem silbernen Ring in der Unterlippe auf. Bis er daran dachte, ihr zu danken, war er schon drin, und die Tür schloß sich wieder. Er straffte sich und fand eine freie Ecke an der Bar. Mit einem frisch gezapften Bier in der Hand hatte er etwas zu tun, und so drehte er sich dem Raum zu. Er war so eingekeilt, daß er nicht viel mehr sehen konnte als ein paar Füße. Überall waren angeregte Gespräche im Gange, man neigte sich einander zu und schrie gegen die Musik an. Er trank schnell, als hätte er ein Interesse an dem Bier. Als das Glas leer war, bestellte er ein zweites. Er betrachtete die Frauen ringsum, eine nach der anderen, versuchte sich vorzustellen, wie es mit jeder von ihnen sein würde. Nein, das war zu weit vorausgedacht, und so überlegte er nur, was er sagen würde. Hallo. Nein: Hi. Hi, ich bin Sartaj. Er würde nach Möglichkeit nur Englisch sprechen. Und lächeln. Und dann? Er versuchte der Unterhaltung links neben ihm zu folgen. Es ging um Musik, eine amerikanische Gruppe, von der er noch nie gehört hatte - was kein Wunder war. Ein Mädchen, das mit dem Rücken zu ihm stand, sagte: »Die letzte Nummer war zu langsam.« Die Antwort des Jungen mit dem Pferdeschwanz, der ihr gegenüberstand, konnte Sartaj nicht verstehen, aber ein anderes Mädchen mit einer Stupsnase sagte: »Mensch, das war doch cool, Alte.« Sartaj trank sein Glas aus und wischte sich den Mund ab. Das Verlangen, das ihn durch die ganze Stadt hierhergeführt hatte, war plötzlich erloschen und hatte einen bitteren, dunklen Bodensatz hinterlassen. Es war sehr spät, und er war fix und fertig.
    Er zahlte schnell und ging. Andere Leute standen jetzt an der Tür, doch das Schweigen und die Blicke, die Halsketten, Piercings und kunstvoll zerzausten Haare waren die gleichen wie zuvor, und er begriff, daß ihn seine elegante blaue Hose hoffnungslos zum Außenseiter stempelte. Bis er am Ende der Gasse angelangt war, traute er auch seinem weißen Button-down-Hemd nicht mehr. Er bog vorsichtig nach rechts zur Hauptstraße ab, stieg über zwei auf dem Bürgersteig schlafende Jungen und ging zur Crossroads Mall, wo er geparkt hatte. Seine Füße senkten sich lautlos auf den mit Abfällen übersäten Asphalt, und links und rechts ragten die herabgelassenen Rolläden der Geschäfte auf. So betrunken kann ich von zwei Bier doch nicht sein, dachte er, aber die Laternenpfähle schienen weit weg, und er verspürte das dringende Bedürfnis, die Augen zu schließen.
    Sartaj fuhr nach Hause. Er fiel ins Bett. Jetzt kam der Schlaf, glitt wie ein schwarzer Erdrutsch

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