Der Pate von Bombay
Backsteinmauer dahinter war eine Pfütze. Katekar lehnte sich an die Mauer, gab etwas Zahnpulver auf seinen Zeigefinger und putzte sich die Zähne, wobei er das Wasser in seinem Glas genau einteilte, und nachdem er ein letztes Mal ausgespuckt hatte, war sein Mund sauber gespült.
Shalini lag auf der Seite, als er in das Kholi zurückkam. »Warst du?« fragte sie, das Gesicht noch abgewandt. Er stellte das Glas auf ein Bord. »Geh«, sagte Shalini, »sonst bist du in einer Stunde wieder wach.«
Die Gasse machte am anderen Ende eine Biegung, dann noch eine, dann öffnete sie sich unvermittelt auf ein Gelände, das zur Schnellstraße hin abfiel. Ein durchdringender Geruch stieg davon auf, und Katekar hockte sich in ihn hinein, sandte zu seiner Überraschung einen wilden Strom abwärts und schaute seufzend zu, wie die Lichter unten näher kamen und wieder verschwanden. Er kehrte in das Kholi zurück, löschte die Glühbirne, zog Hemd und Hose aus und legte sich auf seine Matte, flach auf den Rücken, das rechte Bein weit abgespreizt, den linken Arm und den Schenkel an Shalinis Matratze. Nach einer Weile drehte sie sich um und schmiegte sich langsam an ihn. Er spürte ihr Schulterblatt an seiner Brust, ihre Hüfte an seinem Bauch. Sie sank in ihn hinein, und er regte sich nicht mehr. In der Stille und seinem eigenen Schweigen hörte er hinter dem schwarzen Tuch, das den Raum teilte, das zweifache Atmen seiner Söhne. Sie waren neun und fünfzehn, Mohit und Rohit. Katekar lauschte auf seine Familie, und nach einer Weile sah er trotz der Dunkelheit die Umrisse seines Zuhauses. Auf einem Bord stand ein kleiner Farbfernseher, daneben Fotos von seinen und Shalinis Eltern, alle mit Girlanden geschmückt, und ein großes, goldgerahmtes Bild der Jungen im Zoo. Ein Kalender mit Werbung für Lux-Seife zeigte das Juniblatt mit Madhubala 383 . Darunter ein grünes Telefon mit einem Schloß auf der Wählscheibe. Am Fuß der Betten ein surrender Tischventilator. Hinter seinem Kopf wußte er einen Radiorecorder und seine Kassettensammlung mit Liedern aus alten Marathi-Filmen. Zwei aufeinandergestapelte schwarze Koffer. An Haken hängende Kleider, sein Hemd und seine Hose auf einem Bügel. Shalinis Wandbord mit Messingfiguren von Ambabai 014 und Bhavani 080 und ein girlandengeschmücktes Bild von Sai Baba. Dann die Küche, mit Regalen bis zum Dach und Reihen metallisch schimmernder Geräte. Und auf der anderen Seite des schwarzen Tuchs die Regale mit Schulbüchern, zwei Poster von Sachin Tendulkar beim Kricket, ein kleiner Schreibtisch voller Stifte, Schulhefte und Stapel alter Zeitschriften. Ein Metallschrank mit zwei gleichen Abteilungen. Katekar lächelte. Er liebte es, nachts seine Besitztümer zu inspizieren, sie real und stabil vor seinen schläfrigen Augen zu spüren. Er verharrte auf einer Dämmergrenze, noch weit vom Schlaf entfernt, das Zucken lief seinen Rücken auf und ab, ohne durch die Masse seines Körpers bis zu Shalini zu gelangen, die Dinge, die er sich im Leben erarbeitet hatte, umgaben ihn, und er wußte, wie brüchig diese Festung war. Aber sie war behaglich, und er kam hier zur Ruhe. Er fühlte die Schwere aus seinen Armen und Beinen weichen, und er schwebte im Luftstrom, die Augen geschlossen. Er schlief ein.
Mit der schnittigen kleinen Fernbedienung in der Hand zappte Sartaj rasch von einem Autorennen in Detroit zu einer synchronisierten amerikanischen Sendung über weibliche Kriminalbeamte, dann zu einer glitschigen braunen Nacktschnecke in einem mächtigen, mäandernden Fluß und weiter zu einer Filmi-Countdown-Show. Zwei lächelnde, kurvenreiche Mädchen in roten Miniröcken, beide kaum älter als achtzehn, tanzten auf den Bögen einer weinüberwachsenen Palastruine. Sartaj zappte weiter. Vor dem flackernden Hintergrund schnell wechselnder Nachrichtenclips plauderte eine blonde VJ temporeich über einen Bhangra-Sänger 078 aus London und sein neues Album. Die VJ war Inderin, hieß aber Kit, und ihr blondes Haar fiel schimmernd auf ihre nackten Schultern herab. Ihre Hand schnellte zur Kamera hin, und plötzlich stand sie lachend in einem Spiegelsaal voller ausgelassener Tänzer. Die Kamera holte ihr Gesicht nahe heran, Sartaj sah dessen schöne Züge, und ihre schlanken Beine erfüllten ihn mit tiefer Befriedigung. Er schaltete den Fernseher aus und stand auf.
Steif trat er ans Fenster. Jenseits der zischenden gelben Laternen auf dem Gelände des Nachbarhauses lag dunkel das Meer, und weit entfernt,
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