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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Sie nahm Tanz-und Schauspielunterricht. Sie redete mit Produzenten und Regisseuren. Immer öfter fuhr John mit ihr zu diesen Terminen in Bandra, in Juhu, in Film City. Auf seiner Arbeitsstelle wurde man allmählich unruhig, und schließlich flog er raus. Ich machte mir Sorgen. Aber er meinte, um Großes zu erreichen, müsse man große Risiken eingehen, wir müßten vorausschauen und dürften keine Angst haben. Hab keine Angst. Und ich versuchte keine Angst zu haben. Aber ich hatte Angst. Ich hatte Angst um Jojo. Ich sah, wie fest sie an ihre Zukunft glaubte. Jeder kämpft, sagte sie. Man muß kämpfen. Aishwarya hat gekämpft, sogar Madhubala hat gekämpft. Also muß ich auch kämpfen. Aber am Ende werde ich siegen, sagte sie. Ganz bestimmt.«
    Eine frische Brise vom Meer her blähte den Sari einer Passantin, ließ ihn lila aufleuchten und wehte Mary das Haar in die Augen. Doch sie war weit weg und schien eher mit sich selbst zu reden als mit Sartaj.
    »Und wir alle haben gekämpft. Ich sparte Geld für Jojos Unterricht, und John telefonierte ständig mit seinen neuen MTV-Freunden, um Kontakt zu halten. Und es war ein ganz neuer John. So aufgekratzt hatte ich ihn schon lange nicht mehr erlebt. Ein paarmal fuhr ich mit ihm und Jojo zu diesen Filmi- und Fernsehpartys. Partys mit den berühmten Gesichtern aus dem Fernsehen. Archana Puran Singh hier, Vijayendra Ghatge dort. John schüttelte Hände und lachte, umarmte Leute und klopfte ihnen auf den Rücken. Abends im Bett nahm er mich in die Arme und erklärte mir alles. So funktioniert das in dem Geschäft. So bekommt man Jobs. Beziehungen sind alles. So läuft das. Wir verbrachten dieses Jahr an der Schwelle von etwas Großem, das dachten wir jedenfalls. Jojo bekam einen Modeljob und dann noch einen. Der erste war ein kurzer Werbespot für Dabur-Schuhe, in dem sie mit zwei anderen Mädchen auf der Mittelplanke einer Autobahn tanzte. An einem Dienstagabend sollte der Spot gesendet werden, und wir saßen vor dem Fernseher und warteten. Das gab ein Geschrei, als sie plötzlich auf dem Bildschirm erschien! Jojo tanzend im Fernsehen! Wir tanzten auch, John ließ den Korken einer kleinen Flasche Airline-Champagner knallen, die er von seinem Buchhalterfreund bekommen hatte. Nach diesem Tanz auf der Autobahn waren wir uns völlig sicher. Nichts konnte uns mehr aufhalten. Es war nur noch eine Frage der Zeit. Das sagte John ständig: nur eine Frage der Zeit. Aber es tat sich nichts. Immer neue Termine spannten Jojo auf die Folter - »Kommen Sie noch mal vorbei, wir überlegen es uns noch‹ -, und jedesmal bekam ein anderes Mädchen den Job. Sie dachte unentwegt darüber nach und redete von nichts anderem mehr: Warum nicht ich? Sie und John unterhielten sich über Kleider, Make-up, Auftreten, nächstes Mal machen wir dies und jenes, nächstes Mal wird es so und so sein. Sie planten und planten. Nächstes Mal. Und dann hab ich sie erwischt.«
    Sie brach ab und strich sich das Haar aus dem Gesicht. Sie sah ihn nicht an, aber sie war plötzlich wieder ganz da, nicht mehr in ihren Erinnerungen versunken.
    »Erwischt?« fragte Sartaj ganz ruhig.
    Sie räusperte sich. »Eines Tages wurde mir bei der Arbeit furchtbar schlecht, und ich fühlte mich ganz schwach. Damals ging eine Virusinfektion um. Jeder bekam sie. Meine Stirn fühlte sich heiß an, und der Ladenbesitzer sagte, geh nach Hause. Also ging ich nach Hause. Und da lagen sie, in meinem Bett.«
    Es war immer ein gefährlicher Moment, wenn der Befragte seine Demütigung offenbarte. Reagierte man zu heftig, und sei es nur aus Mitgefühl, entglitt er einem, krümmte sich um seinen bloßgelegten Schmerz, verschloß sich wieder und gab keine wesentlichen Details mehr preis. »Ich verstehe«, sagte Sartaj. »Vermutlich hat er gesagt, es sei alles in Ordnung, nichts habe sich geändert.«
    Bei seinen Worten erschrak sie ein wenig, als hätte er sie ertappt, und er sah, daß ihre Augen feucht geworden waren. »Ja.«, sagte sie. »Irgendwie hat er sich wohl vorgestellt, wir könnten alle drei glücklich zusammen leben. Ich würde weiter arbeiten und das Geld verdienen, von dem sie sich ihre Kleider kaufen und zu ihren Terminen fahren konnten.«
    »Und Jojo?«
    »Jojo ... Sie war böse auf mich. Als hätte ich ihr etwas angetan. ›Ich liebe ihn‹, sagte sie. Und sie sagte es immer wieder. Ich liebe ihn. Als ob ich ihn nicht auch geliebt hätte. Das sagte ich ihr schließlich auch. Er ist mein Mann, sagte ich. Und sie sagte, du liebst

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