Der Pate von Bombay
lächelt, und einer der Piloten dreht sich um und lacht ihn an. Es sind Armeeflieger vom Stützpunkt in Pasighat. Der Pilot zeigt nach unten, auf einen braunen Fleck am Wasser, nicht weit von den Gischtkämmen, die K. D. an den Felsen vorbeischießen sieht. Dann schraubt sich ihnen der Boden entgegen, und sie sind gelandet. Der Helikopter hebt wieder ab, kaum daß K. D. ausgestiegen ist, und im nächsten Moment ist er nicht mehr zu sehen, ist verschwunden und mit ihm sein Getöse. Jetzt hört K. D. ein anderes Geräusch, ein leises, aber durchdringendes Zwitschern. So einen Vogel hat er noch nie gehört, da ist er sich sicher. Und jetzt wieder ein anderes Geräusch, wie wenn jemand eine Blechdose voller Steinchen schüttelt. Und noch eins, aber diesmal bezweifelt K. D., daß es ein Vogel ist, es ist ein heulender Lockruf mit einer Art Schnalzen am Ende. Zwischen den Baumstämmen auf der anderen Seite der Lichtung hängt ein unendlich tiefes blaugrünes Licht, eine ganz eigene dunstige Welt, von der K. D. absolut nichts weiß: NEFA. Er ist allein in der North Eastern Frontier Agency, in einem gelben Buschhemd und billigen ledernen Straßenschuhen und mit einem grünen Armeerucksack. Plötzlich hat er Angst, panische Angst. Zwei Monate Ausbildung, denkt er, ganze zwei verdammte Monate, und niemand hat mich auf das hier vorbereitet, auf diesen Dschungel, diesen unbekannten Himmel über mir.
Nach zwei Stunden taucht ein Zug der Assam Rifles 032 auf, und die Jungs erklären ihm, sie seien durch einen Erdrutsch drei Kilometer weiter aufgehalten und zu einem Umweg gezwungen worden. K. D. hört dem seltsamen Hindi des Subedar 603 konzentriert zu und fragt dann: Wie weit müssen wir laufen? Der Subedar grinst und sagt nichts. Er hat ein Paar Stiefel für K. D. dabei. Die Stiefel sind zu groß, aber das ist besser als zu klein. K. D. zieht drei Paar Socken übereinander und marschiert los. Einundzwanzig Tage lang. Am dritten Tag sind seine Beine so hart und verkrampft, daß er nicht mehr in die Hocke gehen kann, um sich zu erleichtern, er lehnt sich gegen einen Baum und weint. Es ist eine Eiche, das weiß er, und in dieser Erkenntnis liegt Trost. Als er erfahren hat, daß man ihn in diese Berge schicken würde, hat er sich ein Buch über die örtliche Flora und Fauna gekauft und es in seiner Freizeit studiert. Daher weiß er, daß er Magnolien sieht, ein paar verstreute Pappeln, eine Kastanie. Sie folgen dem Verlauf des Flusses, schreiten stetig bergan auf einem Weg, der mit zahlreichen Windungen und Kehren durch den Wald nach oben führt. In diesen ersten Tagen des Marsches, der ersten Woche, kommen sie an paar- oder gruppenweise zusammenstehenden Stelzenhäusern vorbei, die von kleinen Anbauflächen umgeben sind, Reis und Hirse, am Rand der Felder sieht man noch die kohlschwarze Asche des abgebrannten Waldes. Vor den Häusern sitzen Frauen und weben, und die jungen Soldaten machen höhnische Bemerkungen über ihre Nasenstöpsel. Die Männer der Gegend tragen alle lange, gerade Klingen am Gürtel, und der Subedar erzählt ihm, daß sie diese Daos bis vor wenigen Jahren zum Köpfeabschlagen benutzt haben. Die Männer sehen athletisch genug aus, um die Daos zu schwingen und damit Glieder abzuhacken, doch K. D. findet nicht sie beängstigend, nicht die fremdartigen, schrägstehenden Augen unter den konischen Bambushelmen. Nein. Was ihm angst macht, ist der Atem des Dschungels, das knarrende Seufzen des Bambus, der sich unter dem Wacholder emporreckt. Ein Röhren und Dröhnen erfüllt das blaue Licht unter dem Blätterdach. Der Dschungel spricht mit sich selbst, langgezogene Rufe und Antworten, die K. D. überraschen, ihn nervös und fahrig machen. Die Soldaten lachen ihn aus, wenn ihn ein Schrei direkt über ihm wider Willen zusammenschrecken läßt. »Das ist doch nur ein Affe«, sagt der jüngste von allen und rückt sich das Gewehr auf der Schulter zurecht. Seine Verachtung ist unüberhörbar, und K. D. spürt, daß sie berechtigt ist. Er weiß, daß es nur ein Affe ist, und trotzdem vergräbt er sich jede Nacht unter seiner Decke, zieht sie sich über den Kopf. Morgens erwacht er erschöpfter, als er es am Tag zuvor war. Die Berge erheben sich in der Frühe massiv und schwarz über ihnen, ragen dicht umhüllt Schulter an Schulter in den sich rosa verfärbenden Himmel.
Sie überqueren einen Grat und steigen wieder ab, laufen an einem anderen rinnsalartigen Fluß entlang, der sich zu einem reißenden Strom verbreitert. Mit
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