Der Pate von Bombay
runzelt die Stirn. »Was hat Sultan Mehmet mit Gaitonde zu tun?«
Er ist begeistert, muß lachen. Was hat sie für einen scharfen Verstand! Sie hat in Geschichte promoviert. Sie versteht seine undurchsichtigsten Andeutungen, hat die esoterischsten, nutzlosesten Schriften gelesen, sie ist seine Erbin, ist genausosehr seine Tochter wie die von Bloody Mathur. Niemand anders als sie hätte sich sofort daran erinnert, daß Sultan Mehmet, als er seine Armeen erfolgreich über die Landmauern von Byzanz geführt hatte, einem Reich, das seit 1123 Jahren und 18 Tagen bestand (erinnert euch an die Details!), ein feuriges Ende bereitete - nach einem Tag des Mordens und der Gefangennahmen, der Vergewaltigungen und Plünderungen. Niemand sonst hätte sich daran erinnert, daß der Sultan nach alldem durch den Palast der Kaiser schritt, wo die byzantinischen Herrscher ein von Luxus und Intrigen bestimmtes Leben geführt hatten, und in diesem Moment des Sieges zum Himmel emporblickte und flüsterte: »Die Spinne webt die Vorhänge im Palast der Cäsaren, die Eule ruft von Afrasiabs Türmen die Stunde aus.« Aber reiß dich zusammen, K. D., diszipliniere dich. Anjali braucht dich. Was hat Gaitonde mit Mehmet zu tun? Ja, was nur? »Entschuldige«, sagt K. D. »Entschuldige. Gaitonde.«
»Ja«, sagt sie. »Gaitonde.«
»Was war die Frage?«
»Meinen letzten Informationen zufolge hat Gaitonde vor seinem Tod drei Sadhus in Bombay gesucht. Warum? Warum Sadhus? Wo ist da die Verbindung?«
»Gaitonde hat im Gefängnis Yoga gelernt, als ich ihn angeworben habe. Die Lehrer kamen von irgendeiner bekannten Yogaschule.«
»Abhidhyana Yoga. Eine alte, etablierte, sehr angesehene Schule. Darum habe ich mich schon gekümmert. Soweit wir wissen, hat Gaitonde nach seiner Entlassung keinen Kontakt mehr dorthin gehabt.«
Die Yogalehrer waren weiß gekleidet, sie unterrichteten im Haupthof des Gefängnisses und trugen Texte aus dem Mahabharata und dem Ramayana 521 vor. Durch Yoga sollten die Kriminellen ruhiger und dadurch zu besseren Bürgern werden. Aber K. D. hatte sich immer gefragt, warum die Lehrer das glaubten. Das Yoga konnte auch einfach bessere Kriminelle hervorbringen, ausgeglichenere, in sich ruhende Schläger, die in ihrer Kriminalität effizienter waren. Jener Erzschurke, Duryodhana 186 , war garantiert ein Yogi gewesen. Sie waren es alle, diese bösen Krieger. Gaitonde hatte sehr ruhig ausgesehen in seiner weißen Häftlingskluft, dort im sonnigen Büro des Gefängnisdirektors. Gaitonde. Warum war er hinter den Sadhus her? Denk nach, hilf Anjali, hilf ihr. »Gaitonde war fromm«, sagte K. D. »Er hat dauernd Pujas abgehalten, Geld für Tempel gespendet. Er hat allen Maths 406 Geld gegeben, wir haben Bilder von ihm und den heiligen Männern. Er kannte bestimmt viele Sadhus. Was ist an diesen dreien so besonders?«
»Das wissen wir nicht. Wir wissen nur, daß es um drei Sadhus ging. Sie waren ihm so wichtig, daß er ihretwegen seine Deckung verließ und nach Indien zurückkam. Er wußte, daß wir unzufrieden mit ihm waren, er muß Sanktionen befürchtet haben, muß befürchtet haben, umgebracht zu werden. Und trotzdem ist er zurückgekehrt. Warum? Weißt du irgend etwas? Kannst du dich an irgendwas erinnern, Onkel?«
Ja, er kann sich erinnern. Sie sucht nach Einzelheiten, Struktur, nach ein oder zwei Details, die ineinandergreifen und das Rätsel lösen, die Gaitonde, sein Leben und seinen Tod erklären. So hat K. D. Yadav es ihr beigebracht. K. D. Yadav hat wieder Zugriff auf seine Erinnerung, doch es fehlt die Reihenfolge. Er sieht einzelne Elemente, doch nicht den Abstand zwischen ihnen. Für ihn ist die Vergangenheit nicht mehr durch eine deutliche, wohltuende Grenze von der Gegenwart getrennt, alles ist gleichermaßen gegenwärtig, alles ist miteinander verbunden, ist hier. Warum? Was ist mit mir passiert? K. D. weiß es nicht mehr. Aber er weiß es doch. Er fliegt in einem Hubschrauber in ein Tal hinein. K. D. grinst, lacht, er kann nicht anders, er war noch nie in der Luft, sie folgen dem langen quecksilbrigen Band eines Flusses, kurven rüttelnd über dem dichten Grün dahin, über den tief schwarzen Schatten am Fuß der Höhenrücken. Das Licht draußen ist strahlend, ein frühmorgendliches Gold, das die vibrierende Plexiglashaube erfüllt, und der Himmel ist von einer Farbe, wie K. D. sie noch nie gesehen hat, ein sattes, lebhaftes Blau, das über sein Gesicht wandert, ein Farbton, den er in seiner Haut spüren kann. Er
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