Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
Vom Netzwerk:
einiger Anstrengung waten sie hindurch und essen schließlich am anderen Ufer zu Mittag, die Flanke eines Hirschs, den der Subedar zwei Tage zuvor geschossen hat. Die Berge auf beiden Seiten fallen steil wie Mauern ab, und der Himmel ist eine ferne Spiegelung des Flusses, ein schmales, gewundenes Band hoch über ihnen. Dann gehen sie wieder los. Sie steigen, und K. D. weiß, daß es diesmal viel höher hinauf geht. Sie marschieren durch einen Tränenkiefernwald, vorgebeugt, um ihre schweren Rucksäcke besser tragen zu können, und K. D. ist zu müde, um über die Orchideen zu staunen, die weiß, überirdisch weiß, aus dem Gras emporleuchten, ihm läuft der Schweiß in die Augen. In einem langen Feld mit seufzendem grünen Bambus flattern ihm Vögel über den Kopf. Dann geht es durch ein letztes Pappelwäldchen hindurch, und nun schwingt sich vor ihnen eine schmale Wiese halbmondförmig nach oben. Auf ihr gehen sie weiter, höher und höher hinauf, und als K. D. sich umdreht und Richtung Süden schaut, sieht er den Grat, den sie bereits überquert haben, und dahinter, gestaffelt unter dem weiten roten Himmel, Dutzende andere. Sie schlagen ihr Nachtlager auf der Wiese auf, K. D. liegt schräg am Hang und schläft ein, sobald er sich die Decke über den Kopf gezogen hat. Am nächsten Morgen nehmen sie ein kaltes Frühstück zu sich, gehen wieder los und erreichen einen Bergsattel, der wie ein V in den Grat eingeschnitten ist. Zwei Tage haben sie gebraucht, um allein diesen letzten endlosen Hang hinaufzuwandern. Sie marschieren der Reihe nach durch den Engpaß, K. D. genau in der Mitte. Er geht um einen festungsartigen Felsblock herum und betrachtet seine Knöchel vor den Sprüngen im Stein, dann blickt er auf, und ihm stockt der Atem. Auf der anderen Seite des Tals sieht er weitere Wiesen, aber über diesen Hängen, dahinter, ragt das gezackte Weiß in den Himmel, von weißen Wolken überwölbt. Die gewaltigen silbernen Gipfel sind sehr weit weg, und doch spürt K. D. ihre ungeheure Unmenschlichkeit, ihre Gleichgültigkeit. Er versucht wieder ruhiger zu atmen, spürt den eisigen Hauch der weißen Gebirgskämme wie eine Kralle in seinem Hals. Der Mann hinter ihm stößt ihn unsanft an. »Was gucken Sie denn so, Raja-saab? Das ist Tibet, da drüben.«
    »China«, ruft der Subedar von weiter unten herauf, ohne sich umzudrehen. »China.« Der Subedar ist neununddreißig und hat in den jüngsten Auseinandersetzungen nicht weit von hier gegen die Chinesen gekämpft. Seine Haut hat die Farbe und Konsistenz von altem Ölpapier. Er heißt Lalbiaka Marak, ein Name, der K. D. völlig fremd ist. Unter den jungen Soldaten gibt es einen Das und einen Gauri Bahadur Rai, aber die anderen haben Namen wie Vaiphei, Ao, Lushai und, geradezu exotisch, Thangrikhuma. K. D. zweifelt nicht daran, daß ihn die Jawaans 288 ihrerseits auch seltsam fremd finden. Sie haben sich angewöhnt, ihn Raja-saab zu nennen, er weiß nicht recht, warum. Mit seinem Stoppelbart, seinen aufgesprungenen Lippen, seinen Füßen voll nässender Blasen fühlt er sich nicht gerade königlich. An der Schwelle zu dieser großartigen, todbringenden Landschaft, in der Gesellschaft dieser Männer, die angeblich seine Landsleute sind, fühlt sich K. D. Yadav vollkommen allein. Ginzanang Dowara steht direkt hinter ihm, und K. D. riecht seinen milchigen Schweiß. K. D. zieht mit den Schultern den Rucksack höher, senkt den Kopf und geht weiter. Nach einundzwanzig Tagen haben sie die Basis erreicht.
    Hundertsechzig Männer, alle von den Assam Rifles, leben in dieser kleinen Siedlung aus einfachen Holzhütten und Zelten. Die Armee hat zwei Leutnants und einen Captain abgeordnet. »Wir sind offiziersmäßig ein bißchen unterbesetzt«, sagt der Captain zu K. D., »es sind schwere Zeiten.« Der Captain heißt Khandari und ist selbst im Gebirge aufgewachsen, in Garwahl, aber diese Berge hier haßt er. »In Garwahl haben die Berge eine Seele«, sagt er. »Hier sind sogar die Berge Junglis 301 .« K. D. lacht ihn aus, weist ihn darauf hin, daß die Berge demselben Massiv angehören, derselben Gebirgskette, die sich von Westen nach Osten über den ganzen Subkontinent windet. Doch obwohl er es nicht zugibt, weiß K. D. genau, was der Captain meint: Diese Täler zu ihren Füßen sind auf eine sehr tiefgreifende Art fremd, sehr fern von allem, was er kennt. Captain Khandari war im jüngsten Krieg oben im Norden von Ladakh im Einsatz, und er haßt Nehru erbittert, denn wie er sagt, sind

Weitere Kostenlose Bücher