Der Pate von Bombay
ein plötzlicher Geldsegen nur eine Illusion von Wohlstand erzeugt. Das versuchte sie ihrer Schwester klar zu machen.
»Bharti«, sagte sie, »zwei Lakhs, das hört sich nach so viel an, aber wie viele Tage hat ein Leben? Wie lange werden die zwei Lakhs für drei Leben reichen? Meine Kinder sind noch jung. Ich muß die Schule für sie bezahlen, die ganzen Bücher. Und was kann nicht alles passieren! Wir könnten das Geld jederzeit brauchen.«
Bharti saß mit gekreuzten Beinen auf einem Kissen, das sie aus dem Regal genommen hatte. Der Tischventilator war direkt auf sie gerichtet. Sie wischte sich mit ihrem Pallu das Gesicht und zog den Kopf ein wie immer, wenn sie sich ärgerte. »Taai, wenn du's nicht ausgibst, liegt es doch nur auf der Bank herum. Wir brauchen es jetzt, und er sagt, er gibt dir einen höheren Zinssatz als die Bank.« Zwei Freunde von Vishnu Ghodke, Bhartis Mann, wollten ein Reisebüro eröffnen, und Vishnu sollte sich mit der kleinsten Einlage an der Firma beteiligen, doch selbst dafür brauchte er fünf Lakhs, und er hatte nicht einmal drei. Shalini aber besaß nun plötzlich mehr als zwei. Und so saß Bharti an diesem Donnerstagabend bei ihr, erhitzt und ärgerlich. »Es ist eine sichere Sache, sagt er. Die Leute reisen immer mehr. Seine beiden Partner haben Kontakte nach Bahrain und Saudi-Arabien, und da wollen Tausende hin. Abertausende.«
Shalini schüttelte den Kopf. »Selbst wenn Crores und Abercrores nach Saudi-Arabien wollen - ich kann dir das Geld nicht geben. Ich bin allein. Ich bin allein, und ich muß für meine Jungen sorgen.«
Bharti schob beleidigt das Kinn vor. »Und wir? Du hast doch uns! Vertraust du uns nicht?«
»Es geht hier nicht um vertrauen oder nicht vertrauen.«
»Sondern?«
»Es kann doch alles mögliche passieren, Bharti.« Dem Leben selbst konnte man nicht trauen. Es zog einem den Boden unter den Füßen weg, man stürzte und war verloren.
»Aber dir kann doch gar nichts passieren, Taai. Er zahlt dir das Geld in monatlichen Raten zurück, es kommt also immer etwas herein. Zusätzlich zu dem, was du verdienst. Und du zahlst ja auch keine Miete. Du stehst dann viel besser da als jetzt.«
Shalini und Katekar hatten vor sieben Jahren sechs Lakhs für das Kholi bezahlt, in vier schmerzhaften Raten, alles in bar, alles aus Tausenden gespülter Teller und gewaschener Unterröcke, aus zahllosen Fünzig- und Hundert-Rupien-Bakschischs mühsam zusammengekratzt. Jetzt hatten Shalini und ihre Söhne wenigstens ein eigenes Dach über dem Kopf, ihre eigene Küche. Das hatte Katekar gewollt: ein Fleckchen Erde besitzen, das nicht Eigentum des Staates oder eines Vermieters war, die Sicherheit des eigenen Heims. Das hatte er ihnen gegeben. Und nun war er tot. Bei dem Gedanken, daß er nicht mehr da war, spürte Shalini, wie es jetzt öfter geschah, ein Stechen im Rücken, das sich bis in den Bauch zog. Sie atmete tief ein und aus und wieder ein. »Das kann ich nicht machen«, sagte sie. »Ich kann das Risiko nicht eingehen, Bharti. Denk doch mal nach.«
»Du bist diejenige, die dauernd denkt, Taai. Denken, denken, denken! Aber Leute wie wir hören auf ihr Herz. Und wir dachten, wir fragen dich mal. Wir dachten, du verstehst uns.« Bharti machte Anstalten aufzustehen; sie nahm ihre Handtasche und raffte ihren Sari.
»Bharti -«
»Nein, nein, du warst schon immer die Schlauere. Immer denkst du drei Schritte voraus. Immer bekommst du, was du willst, weil du nachdenkst. Wir sind da anders.«
Shalini wußte, daß jeder Widerspruch sofort eine alte, erbitterte Debatte auslösen würde: über eine goldene Kette, die ihre Mutter ihr und nicht Bharti hinterlassen hatte, über eine Hochzeit in der Verwandtschaft, bei der es Streit um die Verteilung der Geschenksaris gegeben hatte, und schließlich darüber, wieviel Geld genau für Shalinis Hochzeit aufgewendet worden war und wieviel für Bhartis. Beide kannten den Verlauf dieser Diskussion zur Genüge, und dennoch würde Bharti sich erhitzen und am Ende in selbstgerechtem Schmerz anfangen zu weinen, so daß ihr rundes Gesicht zerfloß und kindlich weiche Züge annahm. Shalini schaute ruhig zu, wie Bharti sich bückte, um die Riemen ihrer schicken grünen Sandalen zu befestigen, und sagte dann sehr sanft: »Bleib doch wenigstens, bis die Jungen kommen.«
»Ich hab die Kinder zu Mausi gebracht. Sie sind schon viel zu lange dort.«
Mit Mausi meinte sie Vishnu Ghodkes Mausi, die drei Häuser weiter wohnte. Sie war zuverlässig, aber
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