Der Pate von Bombay
morgen an zu lernen«, sagte sie. »Ja?«
»Ja«, erwiderte er.
»Noch Reis?«
»Ja.«
Nach dem Essen wusch Shalini ab, verstaute das Geschirr in dem Gestell an der Wand und hängte Töpfe und Pfannen an ihre Haken. Sie nahm ihr Zahnpulver und ein Glas Wasser und setzte sich in die Tür. Nur noch wenige Leute gingen auf der Gasse durch den Lichtschein, der aus den Türen fiel. In einer anderen Gasse, vor langer Zeit, hatte Katekar einmal gesagt, dieser vielfache Lichtschein sehe aus wie ein Wasserfall. Es war in der ersten Zeit ihrer Ehe gewesen. Ja, hatte sie geantwortet, wie der Wasserfall von Karla 317 . Sie waren damals sehr arm gewesen, und die Fahrt zu den Höhlen von Karla ein Jahr nach ihrer Hochzeit war etwas ganz Besonderes für sie gewesen. Katekar war in den Höhlen umhergegangen und hatte die Reliefs an den Decken bewundert. Er hatte vor den Stupas 602 gestanden, und ihm war ganz feierlich zumute gewesen, trotz seiner schon damals stark ausgeprägten, unerbittlichen Skepsis. Jetzt lief in der Gasse überall Sabse Bada Paisa im Fernsehen, aus allen Türen flimmerten dieselben Farben in den Schmutz, in jedem Fernseher stellte die Stimme des Moderators Riesengewinne in Aussicht. Es gab auch in Shalinis Haus ein Gerät, aber unter der Woche durfte so spät abends normalerweise nicht mehr ferngesehen werden. Das war eine Regel, die Katekar aufgestellt hatte. Lernt fleißig, hatte er zu seinen Söhnen gesagt, dann habt ihr später euer eigenes Haus und könnt fernsehen, wann immer ihr wollt. Nur für Kaun Banega Crorepati 135 324 hatte er eine Ausnahme gemacht, weil es eine Wissensshow war. Wenn man die Fragen richtig beantwortete, konnte man gewinnen, konnte plötzlich ein Crore besitzen, einfach so. Wer genug wußte, konnte reich werden. Lernt, lernt, sagte er zu seinen Söhnen. Mit gekreuzten Beinen saßen sie nebeneinander vor dem Fernseher und riefen laut die Antworten. Shalini nannte sie »die drei Affen«, und sie schnitten ihr Affengrimassen. Jetzt verfolgte Rohit aufmerksam Sabse Bada Paisa , der blaue und grüne Schimmer huschte über sein Gesicht. Mohit saß wieder in seinem Winkel und erzählte sich leise seine geheimen Geschichten. Nach der Bestattung hatte er das Interesse an der Sendung verloren. Und Shalini saß in der Tür. Der Moderator fragte nach dem Namen des größten Bewässerungsprojekts, das es in Indien je gegeben hatte.
»Are, Shalu.«
Ihre Nachbarin Arpana kam auf dem Heimweg mit ihrem Mann Amritrao Pawar vorbei, beide in Ausgehkleidung. Offenbar herrschte an diesem Abend in ihrem lebenslangen Krieg gerade Waffenstillstand. Shalini machte auf der Stufe Platz für Arpana. »Noch so spät unterwegs?« fragte sie.
»Meine Nichte hatte heute ihr Kelvan. In Malad.«
»Sudhirs Tochter?«
»Ja. Die Hochzeit findet ganz in der Nähe seines Kholis statt.«
Arpana hatte zwei jüngere Brüder. Mit dem Jüngeren verstand sie sich gut, mit dem Älteren lag sie in einer Fehde unklaren Ursprungs. Shalini hatte die ganze Geschichte gehört, als sie eingezogen waren und die resolute Nachbarin kennengelernt hatten, aber die Einzelheiten hatte sie vergessen. Sie kannte Arpana seit vielen Jahren und hatte auch ihren Streit mit Amritrao Pawar mitbekommen, der nicht weit entfernt noch eine zweite Frau, eine zweite Familie hatte. Anfangs hatte Shalini Arpana geraten, sich von ihm zu trennen, ihn wegzuschicken, doch dann hatte sie gesehen, daß sich die Streitereien der beiden mit ewigen Schwüren und teuren Geschenken abwechselten, und eines Monsunabends - sie war schwanger - war sie noch spät zu Arpana hinübergegangen, um sich zwei Zwiebeln von ihr zu borgen. Als sie an ihre Tür kam, hatte sie gehört, wie die beiden sich versöhnten und einander in stöhnender Ekstase verziehen. Da hatte sie begriffen, weshalb die Frauen in der Straße lachten, wenn Arpana sich über die Gleichgültigkeit und Grausamkeit ihres Mannes beschwerte. Jetzt stand er vor ihnen, dieser Amritrao Pawar, die Hände in den Taschen, ein arrogantes, selbstzufriedenes Lächeln um den Mund. Shalini mochte es nicht, wenn er sie so ansah. Sollte er sich doch an seiner Arpana ergötzen. Sie wandte sich von ihm ab. »Wie ist der junge Mann?« fragte sie Arpana.
»Zu dünn. Er sieht aus wie das Abflußrohr da, nur nicht so schwarz. Aber die Familie ist in Ordnung. Er arbeitet am Flughafen.« Sie massierte sich die Füße und sah zu Amritrao Pawar auf. »Was stehst du denn da wie festgenagelt?«
Shalini fürchtete, sie
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