Der Pate von Bombay
könnten vor ihrer Haustür wieder anfangen zu streiten; manchmal genügte dafür schon ein bestimmter Blick. Doch Amritrao Pawar war gut gelaunt und lachte nur. »Ich warte auf dich, Rani 526 . Aber ich werde zu Hause warten.«
Sie sahen ihm nach, und Arpana schnaubte. »Die haben hinter dem Haus getrunken. Er glaubt, ich merk's nicht.« Beide nickten über die Dummheit der Männer, dann beugte sich Arpana vor. »War Bharti heute da?«
»Ja. Woher weißt du das?«
»Diese Chitra saß bei uns im Bus.« Chitra war eine andere Nachbarin, die zwei Häuser weiter wohnte. »Sie hat Bharti an der Bushaltestelle gesehen.«
Wieder andere Nachbarn hatten sie vermutlich an der Straßenecke, in der Gasse oder im Haus gesehen, hatten ihren Gesichtsausdruck bemerkt und sich ihr Teil gedacht. »Ja«, sagte Shalini, »sie war hier.«
»Mitten unter der Woche? Ist was passiert?«
»Nein, nein. Nur Geldprobleme.«
Arpana schien nicht recht überzeugt und mit einer so knappen Auskunft unzufrieden, aber Shalini wollte sich nicht auf das Thema einlassen und lenkte das Gespräch deshalb auf Amritrao Pawar. Da konnte Arpana nicht widerstehen, und sie begann seine jüngsten Sünden aufzuzählen: Er sei mit dieser Randi und ihrer ganzen Brut - einschließlich des Kaku der Randi - nach Mahabaleshwar gefahren und habe dafür mehr Geld ausgegeben, als er in zwei Monaten verdiene, er habe mit ihr, Arpana, Streit angefangen, als sie sich beschwert habe, als sie gesagt habe, er habe keinen Ehrgeiz und wolle keine Risiken eingehen, er klebe an seinem Botenjob wie ein Dummkopf, der Angst vor der Welt hat.
»Jobs liegen nicht einfach so auf der Straße«, sagte Shalini. »Laß ihm doch wenigstens seine Arbeit.«
»Die bringt aber nichts ein.« Außer seinem Lohn, meinte Arpana. »Die werden ihn nie befördern und auch nie seinen Lohn erhöhen. Das sind ja alles Muslime.«
»Ich dachte, sein Chef ist Brahmane. Heißt er nicht Baj-pai?«
»Doch, schon, aber die Firma gehört Muslimen. Und du weißt ja, wie die sind.«
Shalini nickte. Dazu konnte sie nichts sagen, aber sie zweifelte ebenfalls an Amritraos Aufstiegschancen. Arpana verfiel wieder in ihre Litanei. Sie war alles andere als hübsch; sie hatte harte, eckige Schultern, und in den letzten zehn Jahren waren ihre Wangen schlaff geworden. Dennoch fanden sie und Amritrao Pawar immer wieder zueinander und zerfleischten sich in Zorn und Leidenschaft. Das tragische war, daß Arpana nach alldem keine Kinder hatte. Deswegen konnte sie Amritrao Pawar letztlich nie ins Unrecht setzen, und deswegen hatte er eine andere Frau. So sehr und so schmerzhaft brauchten sie einander, so groß war ihr Zorn, und trotzdem hatten sie keine Kinder. Die Wege Ambabais waren unerforschlich. »Es wird Zeit, daß ich die Jungen ins Bett bringe«, sagte Shalini.
»Ja. Geht's ihnen gut?«
Die Frauen in der Gasse hatten ein Auge auf die beiden, und Arpana kümmerte sich nachmittags nach der Schule um Mohit. »Ja«, sagte Shalini, »alles in Ordnung.«
Sie standen auf, nickten einander zu und machten sich an die letzten Arbeiten des Tages. Shalini räumte ein wenig auf und scheuchte die Jungen ins Bett, bereitete ihr eigenes Lager und legte sich nieder. Dies war der schwierigste Moment des Tages. Ihre Glieder bewahrten die Erinnerung an Katekars Körper, und sie vermißte es, sich an seinen Bauch schmiegen zu können. Während sie auf den Schlaf wartete, irrten ihre Gedanken ab, blitzschnell und unerwartet. Seine Scherze und sein Lachen, kleine Demütigungen und Freuden ihrer Kindheit trafen aufeinander und vermischten sich, strahlend hell und schmerzhaft. Dieses obszöne Gedicht über Dev Anand und Mumtaz 433 - Shalini mußte lächeln -, tausendmal hatte er es aufgesagt, immer mit demselben Vergnügen. Sie atmete tief ein, und dann kam der Schmerz. Sie wischte sich übers Gesicht. Wenigstens hatte sie seine Söhne. Seine Söhne schliefen nahe bei ihr. Ihre Gedanken schweiften wieder ab. So sind die Muslime. Sie haben meinen Mann getötet. Einer von ihnen hatte ihn getötet, und der Mörder war auch tot. Manchmal wünschte sie, er wäre noch am Leben und sie selbst könnte ihn töten. Doch Sartaj Singh hatte den Bihari erschossen. Sartaj Singh war selbst ein Möder. Alle waren Mörder, und sie hatten ihren Mann getötet. Die Wut fühlte sich an wie ein Eisen, das sich durch ihren Hals emporschob und gegen ihren erlahmenden Willen hervordrängte, mit einem tiefen Aufschrei, der an den Wänden kratzte und ihr angst
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