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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Schultern vor einer Reihe flimmernder Monitore, eine braune Hand neben den Reglern eines schwarzen Schaltpults.
    »Gaitonde!« Sartaj hatte nicht schreien wollen - er bevorzugte einen sanft mahnenden, bestimmten Ton - und zwang sich, die Stimme zu senken. »Gaitonde, nehmen Sie ganz langsam die Hände hoch.« Die Gestalt im Dunkeln regte sich nicht. Sartaj spannte den Finger schmerzhaft um den Abzug und unterdrückte den Drang, zu schießen und nochmals zu schießen. »Gaitonde! Gaitonde?«
    Von rechts, wo Katekar stand, kam ein leises Klicken, und noch während Sartaj den Kopf wandte, war der Raum schon in strahlend weißes Neonlicht getaucht, üppig, allumfassend, rein. Und in diesem universellen Licht saß Gaitonde, preisgegeben, eine schwarze Pistole in der Linken. Die Hälfte seines Kopfes fehlte.
    Sein rechtes Auge trat blutunterlaufen aus der Höhle. Sartaj sah das zarte Geflecht rosaroter Linien, das harte Schwarz der Pupille, die schimmernde Flüssigkeit, die aus dem inneren Augenwinkel sickerte und die er wider besseres Wissen für eine Träne hielt. Doch sie war nur die Reaktion des Körpers auf den gewaltigen Schlag, der die andere Gesichtshälfte vom Kinn aufwärts weggerissen, die Haut vom linken Nasenflügel bis in die Stirn aufgeschlitzt und eine cremefarbene Masse an die Decke gespritzt hatte. Ein perlweißer Zahn blinkte heil und unversehrt vor dem rohen Rot, an dem Gaitondes schmallippiges Grinsen abrupt endete.
    »Sir«, sagte Katekar. Sartaj zuckte zusammen, und seine Augen folgten dem Lauf von Katekars Revolver zu einer Tür in der weißen Wand. Dort im Dämmer, genau auf der Grenze zwischen grellem Licht und Dunkel, zeigten die Zehen zweier nackter kleiner Füße zur Decke. Sartaj trat heran. Den Körper konnte er nicht deutlich sehen, nur zwei weiße Hosenbeine, doch an der weichen Linie der Hüften erkannte er, daß es sich um eine Frau handelte. Wieder fand Katekar einen Lichtschalter, und da lag sie, ja, eine Frau, in tiefsitzenden, hautengen weißen Hosen - Hüfthosen nannte man sie, wie Sartaj wußte. Ein schickes, enges rosa Top ließ ihren Bauch frei. Sie mußte stolz auf ihre schmale Taille und den vollkommenen Nabel gewesen sein. In ihrer Brust war ein Loch, direkt unterhalb der flaumigen Stelle, über der das Top zugehakt war.
    »Er hat sie erschossen«, sagte Sartaj.
    »Ja«, antwortete Katekar. »Sie muß in der Tür gestanden haben.«
    Ihr Gesicht war nach links gewandt, und das lange Haar fiel ihr über die Wange.
    »Checken Sie den anderen Raum«, sagte Sartaj. In dem quadratischen Zimmer, in dem das Mädchen lag, standen vier kahle Betten in einer Reihe, jedes mit einem weißen Nachttisch. Es sah aus wie ein Schlafsaal. An der Wand ein Hometrainer und auf einem Gestell Gewichte, der Größe nach aufgereiht. DVDs alter Schwarzweißfilme. Ein Metallschrank mit einer Batterie AK-56-Gewehren und Pistolen. Es gab ein Badezimmer mit Duschen und westlichen Toiletten und drei Schränke voller Herrenkleidung, Schuhe und Stiefel. Katekar hatte seine Inspektion des Hauptraums beendet, und nun standen sie nebeneinander vor Gaitonde.
    Hinter ihnen drängten bewaffnete Polizisten heran, Schultern stießen gegeneinander, und Gewehrkolben klapperten, als die Männer sich vorbeugten, um zu sehen, was aus dem großen Gaitonde geworden war, und um einen Blick auf seine ermordete Freundin zu werfen.
    »Genug«, sagte Sartaj. »Was ist das hier, ein Gratisspektakel? Eine Filmvorführung? Los, alle raus hier.« Er wußte, daß man ihm anhörte, wie erleichtert er war, wie seine Anspannung sich löste, und im Hinausgehen grinsten ihn die Männer an. Er setzte sich auf den Rand des langgestreckten Schaltpults und wartete darauf, daß das seltsam weiche Gefühl hinter seinen Kniescheiben wich. Von Gaitondes Stuhllehne tropfte es stetig auf den Boden.
    Katekar öffnete und schloß mit einem blauen Taschentuch zwischen den Fingern die weißen Schränke an den Wänden. Er ging wie immer, wenn Schüsse gefallen waren, methodisch vor, und seine festen, breiten Schultern und das ernste Kinn wirkten beruhigend auf Sartaj.
    »Nichts drin, Sir. Alles leer.«
    Neben Sartajs Bein war eine Schublade. Er griff nach seinem eigenen Taschentuch und zog sie auf. Ein kleines schwarzes Buch lag darin, in der Mitte und genau parallel zu den Seitenwänden der Lade ausgerichtet.
    »Ein Tagebuch?« fragte Katekar.
    Es war ein Album mit Fotos unter der glatten Klebefolie auf den schwarzen Seiten. Sartaj wendete die Blätter

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