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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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ich hätte schwören mögen, daß viele Tage und Nächte verstrichen, bevor ich die Tür knarzend wieder aufgehen hörte. Und dann war da das Rasseln meines eigenen Atems, ein und aus, ein und aus, Ewigkeiten. Ich öffnete die Augen und wußte, daß nur ein oder zwei Minuten vergangen waren. Und doch war ich endlos lang eine sumpfige Küste entlanggelaufen. Eine weitere lange Minute erwartete mich, öffnete ihren tiefen Abgrund vor mir. Und dann noch eine. Ich versuchte mir eine Uhr vorzustellen, schlug einen Nagel in die Wand und hängte eine goldene Uhr daran auf, mit einem dieser Pendelgewichte, ich dachte mir, sie könne die Zeit für mich messen. Aber meine Uhr gähnte, zerrann und verschwand, und ihre Zeiger rollten sich ein und bildeten Schlaufen. Ich hatte gehört, daß die Anda-Zellen Menschen in den Wahnsinn treiben konnten, und jetzt stellte dieser schwarze Raum mich auf die Probe.
    Im Dunkeln kamen Frauen zu mir. Sie liefen mit kühl klimpernden Fußkettchen durch mich hindurch. Ich lag flach auf dem Rücken, und sie schwebten über mir. Die Säume ihrer Ghagras streiften mir sanft über die Wangen, und ich spürte ihre Schritte auf meiner Brust, sanft wie eine Segnung. In diesem vagen Traum, der luftigen Berührung ihrer Gaze, wurde ich von meiner Gefangenschaft erlöst. Sie unterhielten sich murmelnd, so daß ich sie gerade eben nicht verstand, ein Flüstern, das zu leiser Musik wurde. Ich schwebte. Ich war fort.
    Als man mich aus der Anda-Zelle herausließ, wußte ich nicht, wieviel Zeit verstrichen war, ob zwei Wochen oder zweitausend Jahre. Ich hielt mir schützend die Hand vor die Augen und stellte den Gefängniswärtern und Polizisten keine Fragen. Parulkar war da, in seiner typischen selbstgefälligen Art, aufgeblasen und beleidigend, und unter seiner Führung wurden wir über den Gefängnishof zum Büro des Direktors geschleift. Dort folgten natürlich weitere Schmähungen und Einschüchterungen, man drohte uns mit zusätzlichen Anklagen und langen Haftstrafen. Aber das war alles nur Show, leeres Gerede, denn sie wußten so gut wie wir, daß wir einen Sieg verbucht hatten. Es war nur ein kleines Scharmützel gewesen, aber wir hatten gewonnen. Und so geringfügig dieser Triumph auch gewesen sein mochte, für meine Jungs und mich änderte er alles. So ist das manchmal eben. Während ich das Theater, das die Gefängniswärter und Parulkar veranstalteten, in aufrechter Haltung über mich ergehen ließ, kam ich wieder zu mir. Auf dem Schreibtisch stand ein Kalender, dem ich das Datum entnahm, es war der 28. Dezember. Ich war also dreizehn Tage und vierzehn Nächte in der Anda-Zelle gewesen. Mit einem metallischen Klirren fiel die Zeit wieder in ihren Rahmen. Ich blieb ruhig, verzog keine Miene, senkte den Blick, doch meine Stärke kehrte zurück. Das Aufheben, das sie machten, zeigte, daß sie mir meinen moralischen Sieg zu verwehren suchten. Ich wußte, daß alle meine Jungs, in der Baracke wie draußen, von unserem Kampf gehört hatten und daß er ihnen Auftrieb gab.
    Erst in der Baracke erfuhr ich Einzelheiten über unseren Triumph. Der Mistkerl, dem ich in den Hals gestochen hatte, war einer von Suleiman Isas obersten Controllers, der den Jungs in Dubai direkt unterstand. Der Maderchod hatte wie durch ein Wunder überlebt, aber er war immer noch im Krankenhaus und von langen bogenförmigen Nähten übersät. Die Ärzte rechneten damit, daß er irreparable Nervenschäden davontragen würde. Die anderen waren mit geschorenen, bandagierten Köpfen in ihre Baracke zurückgekehrt, und wann immer meine Jungs in Hörweite ihrer Fenster gelangten, wurde ordentlich herumgewitzelt: »Hat hier jemand Kopfweh? Braucht vielleicht jemand eine Kopfmassage?« Die Verletzungen auf unserer Seite waren nicht der Rede wert, kleine Schnittwunden. Doch alle waren sichtlich benommen von der Zeit in der Anda-Zelle. Meetu zitterte, er versuchte zwar, es zu unterdrücken, fröstelte jedoch trotz der Nachmittagshitze.
    »Okay«, sagte ich zu meinen Jungs. »Wir feiern später. Macht uns erst mal einen Tee. Dann baden wir alle und ruhen uns etwas aus. Sorgt für ausreichend Wasser.«
    So wurde es gemacht. Zum Schluß legten wir uns zu einem Kreis zusammen, die Füße in der Mitte, unsere Körper die Speichen eines Rades, und die anderen Jungs fächelten uns abwechselnd Luft zu. Es war ein Vergnügen, zu plaudern, an die Deckensparren hochzuschauen und Licht zu sehen, das Fortschreiten des Tages zu verfolgen. Dipu und Meetu

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