Der Pate von Bombay
einem kleinen Glastisch, verschränkte die Arme hinter ihrem Rücken, sie sah plötzlich müde und irgendwie mädchenhaft aus. »Ich erzähl Ihnen mal was«, sagte sie. »Ich bin in Wirklichkeit gar nicht einen Meter achtzig groß.«
»Are, echt nicht?« fragte Kamble nach. »Doch, das sind Sie ganz bestimmt.«
»Nein.« Sie folgte ihnen in den Flur. »Ich bin eigentlich nur einssiebenundsiebzig. Aber Jojo hat überall herumerzählt, ich wäre einsachtzig, und alle haben es geglaubt. In den Medien ist ein Riesenaufhebens darum gemacht worden. Und jetzt werde ich es nicht mehr los, dieses Einmeterachtzig-Image.«
Sartaj sah, daß Kamble sich an ihrer Schulter maß. »Warum auch?«
»Ein paar von den Helden wollen nicht gern mit einer großen Frau zusammen spielen, wissen Sie. Dadurch sehen sie nämlich klein aus.«
»Nein!« Kamble war entrüstet.
Am Ende des Flurs, neben der Küchentür, entdeckte Sartaj den alten Mann, der ihnen geöffnet hatte. Er polierte einen Silberteller und beobachtete sie.
»Doch, es stimmt«, beteuerte Zoya. »Ich weiß, daß ich einige sehr gute Rollen nur deswegen nicht bekommen habe. Diese Männer haben einfach Angst, und sie dominieren die Filmindustrie nach wie vor.« Sie seufzte.
»Wir leben in traurigen Zeiten«, sagte Sartaj.
»In einem wahren Kaliyug«, bemerkte Kamble versonnen und zugleich verdrießlich.
Zoya war belustigt. »Das hat er auch ständig gesagt.«
»Wer, Gaitonde?« fragte Kamble.
»Er und sein Guru-ji haben ständig über das Kaliyug geredet. Und über den Weltuntergang.«
Sartaj ließ wohlbedacht einen Moment verstreichen, um nicht zu interessiert zu erscheinen. »Was hat er denn sonst noch darüber gesagt?« hakte er dann sanft nach.
»Ich weiß nicht. Er hat das Hindi-Wort dafür verwendet, wie heißt es noch? Für Qayamat 504 ?«
»Pralay?« assistierte Kamble.
»Ja, Pralay. Darüber haben sie sich unterhalten.«
»Und was genau haben sie gesagt?« Auch Kambles Ton war beiläufig, doch Zoya merkte jetzt, daß beider Aufmerksamkeit auf sie gerichtet war.
»Warum?«
»Bitte, Madam«, sagte Sartaj. »Wir sind einfach an allem interessiert, was Gaitonde gesagt oder getan hat. Erzählen Sie es uns.«
»Ich weiß es nicht mehr so genau. Ich sollte ja eigentlich schlafen. Und es war alles so langweilig. Ich habe nicht richtig zugehört.«
»Trotzdem«, sagte Sartaj. »Ein bißchen was müssen Sie doch mitbekommen haben. Über das Pralay.«
»Ich weiß nicht. Ich glaube, es ging darum, daß es kommen würde. Gaitonde hat gefragt, ob es wirklich kommen würde, und Guru-ji hat gesagt, ja. Irgendwas von: Die Anzeichen dafür seien überall.«
»Sie haben darüber geredet, daß das Pralay kommt ... Was für Anzeichen meinte er denn?«
Sartaj wartete. Zoya schüttelte den Kopf.
»Na gut. Danke, daß Sie sich die Zeit genommen haben, Madam«, sagte Sartaj. »Falls Ihnen noch irgend etwas dazu einfällt, oder auch ganz allgemein zu Gaitonde, rufen Sie mich bitte an. Es ist sehr wichtig. Und bitte melden Sie sich auch, wenn wir Ihnen irgendwie behilflich sein können. Wenn es Probleme gibt oder sonst etwas, rufen Sie uns an.«
Zoya nahm seine Karte entgegen, doch sie war jetzt beunruhigt. »Worüber sind Sie eigentlich so besorgt? Warum wollen Sie soviel über Gaitonde erfahren? Er ist doch tot.«
»Wir führen Ermittlungen zu organisierten Banden durch, Madam«, sagte Sartaj. »Es gibt keinerlei Grund zur Sorge. Er ist tot, so ist es.«
Sie gingen und überließen Zoya Mirza ihren sorgenvollen Gedanken über den toten Gaitonde. Im Aufzug waren sie beide schweigsam, schwitzten nach der gleichmäßigen Kühle in Zoyas weißer Wohnung. Zoyas Medienimage war wirklich makellos: Es gab keine Affären, keine Skandale, und wenn andere Schauspielerinnen in Zeitschriften über sie lästerten, reagierte sie nicht darauf. Und das alles hatte sie auf dem Fundament von Ganesh Gaitondes Unterstützung aufgebaut. Sie ist wirklich brillant, dachte Sartaj. Die Wachen am Eingang dösten, und der Mond war verschwunden, nur die orangefarbenen Kreise der Straßenlaternen erleuchteten die Nacht. Kurz vor ihren Motorrädern sagte Kamble schließlich: »Fakten haben wir, genaugenommen, keine.«
»Nur daß Gaitonde einen Guru hatte, das ist das einzig Neue. Eigentlich nichts, was man nach Delhi melden müßte. Ich werde morgen früh dort anrufen.«
»Kein Grund zur Sorge.«
»Ich wußte gar nicht, daß Sie gläubig sind, Kamble.«
»Was?«
»All das Gerede vom
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