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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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Kaliyug.«
    »Was sonst soll diese Welt, in der wir leben, denn sein, wenn nicht das Kaliyug? Alles steht auf dem Kopf. Diese Frau da oben, die ganz allein in dieser riesigen Wohnung wohnt, zum Beispiel. Da kommen zwei Polizisten zu ihr, und sie empfängt uns allein, mitten in der Nacht. Kein Vater oder Bruder ist dabei, niemand.«
    »Ich glaube, sie kann ganz gut auf sich selbst aufpassen.«
    »Das meine ich ja. Und was das andere angeht: Ja.«
    »Was?«
    »Ich bin gläubig.«
    »Buddhist?«
    »Wie kommen Sie darauf? Nein, ich bin da ganz stur, ich gebe nichts auf. Diese Mistkerle von Manuvadis 400 werden mir den angemessenen Respekt erweisen und was immer ich sonst von ihnen will. Wieso sollen die denn bestimmen, was für eine Kategorie von Hindu man ist? Diese Bhenchods. Mein Vater war genauso. Deshalb haben ein paar von unseren Leuten mit ihm gekämpft.«
    Sie verabschiedeten sich mit erhobener Hand. Während er die leere Straße nach Goregaon entlangraste, versuchte sich Sartaj das Pralay vorzustellen. Er versuchte sich auszumalen, wie ein Feuersturm die Schlafenden auf den Treppen und Gehwegen erfaßte, wie ein furchtbarer Wind die Gebäude zerstörte, sie regelrecht zerrieb. Die Bilder blieben nicht haften, die Angst verebbte. Das Leben war zu präsent, es war überall ringsum. Trotzdem konnte Sartaj anderthalb Stunden lang nicht einschlafen. Er lag verspannt und unbehaglich im Bett. Gaitonde hatte einen Guru. Irgend etwas nagte in Sartajs Kopf, er bekam es nicht zu fassen, doch es ließ nicht locker. Er trank etwas Wasser, reckte sich und drehte sich dann auf die linke Seite, vom Fenster weg. Das Pralay entschwand ganz, hinterließ jedoch eine Leere, in der Bruchstücke aus Sartajs Vergangenheit einander jagten, ein Vakuum, in dem seine Gedanken rasten. Aus diesem dämmrigen Wirbel trat ein Gesicht hervor, das blieb. Sartaj hielt sich mühelos an Mary Mascarenas fest und schlief sanft ein.

    Am nächsten Morgen führte Sartaj zwei sehr frühe Telefonate, das erste mit Anjali Mathur in Delhi. Sie hörte sich seinen Bericht über Zoya, Gaitondes Guru und das Pralay an, sagte ein paar ermunternde Worte und bedankte sich ruhig. Sie bat ihn weiterzuermitteln und legte auf. Im funkelnden frühmorgendlichen Sonnenlicht kam Sartaj die Vorstellung eines Pralay absurd vor, und er verspürte Verachtung für den irregeleiteten Gaitonde und seinen irregeleiteten Guru.
    Sartaj lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, knackte mit den Fingergelenken und bereitete sich auf den nächsten Anruf vor. Nervös in dem Sinne war er nicht, nein. Er wollte Mary anrufen und fühlte sich wie ein Bär, der aus einem zu langen Winterschlaf in die grelle Sonne hinaustritt. Früher war er ziemlich gewandt gewesen, hatte von einem Augenblick auf den anderen mit Frauen flirten und sie spontan zum Ausgehen einladen können. Jetzt saß er an seinem Kaffeetisch und versuchte eine Strategie zu entwerfen. Er widerstand dem Impuls, sich ein paar Sätze aufzuschreiben, und dachte: Was bist du doch für ein Lallu 363 geworden, Sartaj. Ruf sie einfach an, los. Doch er rief sie nicht an. Er stand auf, trank ein Glas Wasser und setzte sich wieder. Jetzt mußte er sich eingestehen, daß er zwar nicht nervös war, nicht so wie mit Dreizehn, wohl aber Angst hatte. Wovor? Nicht nur vor den potentiellen Katastrophen - Zurückweisung, Peinlichkeit, Verrat sondern auch vor all dem Guten. Er hatte Angst vor Marys plötzlichem Lächeln, vor der Berührung ihrer Hand. Es war besser, in einer Höhle zu leben, eingeschlossen und bequem.
    Gaandu, Feigling, du solltest dich schämen. Er schüttelte seine Arme, griff nach dem Hörer und wählte. Mary meldete sich, und er sagte hastig, er werde morgen zu Ermittlungen nach Khandala fahren und wolle ihr ja auch von seinem Treffen mit Zoya Mirza erzählen, und ob sie nicht Lust habe, nach Khandala mitzukommen, denn morgen sei ja Montag, ihr freier Tag, wie er wisse, und so kämen sie ein bißchen aus der Stadt raus, zu einem mit Zoya Mirza gewürzten Picknick, sozusagen. Noch während er das alles sagte, wurde ihm klar, daß es zu konstruiert war, daß für das, was er ihr über Zoya Mirza erzählen wollte, keine lange Fahrt und kein Essen in einem Restaurant in den Bergen nötig war. Er brach ab. Er rechnete damit, daß sie ablehnte oder erst überredet werden wollte, doch sie fragte bloß, wann er sie abholen werde.
    Sartaj hatte sein Auto seit Monaten nicht mehr gefahren, also checkte er es nachmittags kurz durch und

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