Der Pate von Bombay
sagte ihm zur Ermutigung ein paar lobende Worte. Rumpelnd kam es in Gang. Er fuhr eine halbe Stunde herum, bis er sich davon überzeugt hatte, daß das alte Gefährt durchhalten würde. Dann machte er das Auto innen sauber, kontrollierte Öl und Batterie, und am nächsten Morgen fühlte er sich bestens vorbereitet. Sie fuhren um halb acht los. Mary trug schwarze Jeans und ein weißes Hemd. Sartaj war sich ihrer Hand auf dem Sitz neben ihm - gar nicht weit weg - und des Dufts ihres Shampoos sehr bewußt. Sie fuhren durch Sion, das so früh am Tag noch relativ leer war. In Deonar lichteten sich die Häusermassen schließlich, der Himmel wurde sichtbar, weit und grau, und in dem sich vor ihm öffnenden Panorama sah Sartaj die Berge. Er spürte dieses Kribbeln im Bauch, wie in seiner Kindheit, und am liebsten hätte er gesungen: Wir fahren in die Ferien, wir fahren in die Ferien. Aber nein, Mary würde ihn für verrückt halten. Er lächelte trotzdem, und Mary sah es und lächelte ebenfalls. Sie überquerten zügig auf der hohen, geschwungenen Brücke das schlammige Wasser des Meers, fuhren dann zwischen Ansammlungen von Mietshäusern hindurch, und als die pastellfarbenen Neubauten vor ihnen aufragten, wußte Sartaj, daß sie die Autobahn fast erreicht hatten.
»Diese Gebäude sehen aus wie Kuchen«, sagte Mary. »Ein Haus sollte wie etwas aussehen, in dem man wohnt, nicht wie ein Kuchen.«
»Das ist halt der moderne Baustil«, sagte Sartaj. »Haben Sie Hunger? Wollen wir uns bei McDonald's etwas holen?«
»Nein, nein, nicht nötig. Fahren Sie weiter.«
Sie machte eine ausladende Geste in Richtung der Ghats 224 , und Sartaj begriff, daß sie genauso dringend wie er in die Berge wollte. »Okay.« Er zahlte die Maut, und los ging es.
Auf der Autobahn herrschte nur mäßiger Verkehr, und es war ein gutes Gefühl, auf der breiten Straße gegen den Wind dahinzugleiten. Dem Khatara 332 schien die glatte breite Straße auch zu gefallen, er drängte heftig vibrierend vorwärts.
»Wie alt ist diese Kiste eigentlich?« fragte Mary.
»Uralt. Aber sie fährt und fährt.« Er verlangsamte, wechselte die Spur. Selbst der Spurwechsel machte hier Spaß, die Autofahrer schienen etwas zivilisierter zu fahren, sobald sie auf die Autobahn kamen. Und es gab so viele Spuren, alle angenehm breit und perfekt angeordnet.
Als sie die Ausläufer der Berge erreichten, gerieten sie allerdings in einen kleinen Stau hinter einem Ungetüm von Laster, der auf die Seite gekippt war und quer auf der Fahrbahn lag. Der Verkehr kam jedoch nicht ganz zum Erliegen, und als sie an dem Hindernis vorbeifuhren, sahen sie, daß das hintere Ende des Lasters verbeult und geborsten war und ein Meer von Orangen sich auf den Asphalt ergossen hatte. Einen Moment lang quatschte es unter den Reifen ihres Wagens, dann waren sie an dem Laster vorbei.
»Als ich das letzte Mal auf der Autobahn war«, sagte Mary, »habe ich fünf Unfälle gesehen.«
»Das sind diese Idioten, die noch nie im Leben eine Autobahn gesehen haben, sondern immer nur in indischen Dörfern und Städten unterwegs waren. Kaum sehen die so eine große, perfekte Straße, sind sie völlig aus dem Häuschen, fahren zu schnell und verlieren die Kontrolle über ihr Fahrzeug. Bas, aus und vorbei.«
»Wenigstens hat dieser Unfall den Verkehr nicht komplett blockiert.«
Das war auch noch so was. Mary Mascarenas war eine Optimistin, oder zumindest keine Pessimistin. Sartaj überkam ein Wohlgefühl, als er so neben ihr saß. Ja, die Straße war nicht gesperrt. Sie redeten nicht viel, und er war es zufrieden, sie auf eine Reihe von Kamelen aufmerksam zu machen, die unerklärlicherweise eine Seitenstraße entlangtrotteten, oder auf ein dickes Mädchen, das auf einem Damm zwischen Feldern entlangging. Sie fuhren durch Tunnel und wieder in die Sonne hinaus, zum sanften Dröhnen des Motors und dem Zischen vorbeisausender Autos.
Um halb zehn hatten sie das Cozy Nook erreicht. Es bestand aus fünf am Rand einer Wohnsiedlung zusammengedrängten Cottages und der Rezeption, einem nagelneuen Betonbau in einem beunruhigenden Pink. Die Lauschigkeit, die der Name des Gästehauses versprach, suchte man vergeblich. Der dunstige, von einer Stromleitung durchschnittene Ausblick wurde vom Management bestimmt als schöner Flußblick angepriesen. Doch Khandala war inzwischen voller Betonkästen, nicht mehr die baumbestandene Oase, die Sartaj als College-Student mit seinen Freundinnen aufgesucht hatte. Allein der Mann am
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