Der Pate von Bombay
Empfang, fast kahl und mit Haaren in den Ohren, hatte in seiner Unfreundlichkeit und gelangweilten Abgestumpftheit etwas Vertrautes, Beruhigendes.
»Namen«, blaffte er und schob ihnen über die Theke das Gästebuch zu.
Sartaj grinste Mary an und erklärte, er wolle kein Zimmer, sondern sei von der Polizei und würde ihm gern ein paar Fragen stellen. Der Kahlkopf mit den haarigen Ohren war sichtlich verwirrt - wegen Mary. »Sie ist meine Assistentin«, sagte Sartaj. »Zeigen Sie uns bitte die anderen Gästebücher.«
Die Überprüfung dauerte eine halbe Stunde. Sartaj hatte Umesh Bindais Namen schnell gefunden, eine Unterschrift mit einem Schnörkel und zwei Punkten darunter. Die anderen Namen an den jeweiligen Daten waren oft unleserlich und, da war sich Sartaj sicher, größtenteils erfunden. »S. Khan« gab als Adresse »Bandra, Mumbai« an, sonst nichts. Falls er der Mann mit der Kamera gewesen war, der Umesh und Kamala liebesgesättigt hatte lustwandeln sehen, würde es unmöglich sein, ihn aufzuspüren. Sartaj wies den Kahlkopf an, die Gästebücher wegzuräumen und sie zu den Cottages zu führen. Mary ging schweigend mit.
Als sie wieder im Auto saßen und den Hang hinauffuhren, fragte sie schließlich: »Haben Sie gefunden, was Sie gesucht haben?« Eine scharfe Kurve kam, und ihr Arm stieß gegen seinen.
Sartaj schüttelte den Kopf und wartete, bis sie in einem Restaurant, das auf einem Felsvorsprung erbaut war, Platz genommen hatten. Ein leichter Wind aus dem Tal strich den terrassierten Hang herauf, und Sartaj fühlte sich herrlich entspannt und hungrig. »Ich habe nicht damit gerechnet, etwas zu finden«, sagte er. Und dann erläuterte er ihr, wie Ermittlungen abliefen, wie man sich vorwärtstastete, im dunkeln stocherte, Hinweise fand, die man nur zur Hälfte begriff, und Beweismaterial, das als solches nicht durchgehen würde, von dem man jedoch wußte, daß es die Wahrheit belegte. »Es ist nicht wie im Film«, sagte er. »Eigentlich beruht die Ermittlungsarbeit zur Hälfte auf Zufällen. So wie bei den Bildern von Zoya, die uns entgangen sind, die Sie aber sofort eindeutig zuordnen konnten.«
»Das heißt, Sie sind auf Zufallsbegegnungen mit Frauen angewiesen, um Ihre Gangster aufzuspüren? Das ist aber nicht gerade eine vertrauenerweckende Auskunft für uns arme Normalbürger.« Ihre Augen glitzerten vor Belustigung.
»Aaah, nein, man muß nur offen für solche Zufallsbegegnungen sein, wissen Sie. Man muß zuhören können, um klarzusehen.«
»Ich sehe klar, daß Sie viel Zeit damit verbringen, Frauen zuzuhören.«
Er wußte, daß sie ihn hochnahm, trotzdem protestierte er: »Nein, nein, nicht so.«
Sie kicherte, und er stimmte in ihr Lachen ein. Sie aßen überdimensionierte Neer Dosas mit einer scharfen Gemüsesoße. Sartaj wischte seinen Teller leer und lehnte sich zurück. Er fühlte sich wohl, mit sich und der "Welt im reinen. Gaitonde war tot und weit weg, und falls es eine Bombe gab, war sie immateriell, Requisit einer Horrorstory. Sartajs Blick wanderte die buschbewachsenen grünen Hänge hinauf und dann über die Berggipfel in die Ferne. Er sagte: »Es tut so gut, mal aus der Stadt rauszukommen. Ich fände es ja schön, in einem Dorf zu leben, in der Natur, da ist die Luft wenigstens sauber. Und man wäre lange nicht so gestreßt.«
Mary saß zur Seite gelehnt da, das Kinn in die Hand gestützt. »Sie in einem Dorf - das möchte ich mal sehen.«
»Warum denn nicht? Vielleicht würde ich einen guten Bauern abgeben.«
Sie schüttelte sanft den Kopf. »Ich beziehe das gar nicht nur auf Sie. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen, und ich könnte nie dorthin zurück. Wissen Sie denn eigentlich, wie das wirklich ist?« Sie erzählte ihm, wie es war, in einem Backsteinhaus mit Ziegeldach vom frühmorgendlichen Geschnatter der Papageien geweckt zu werden und noch mit Schlaf in den Augen zum Kuhstall hinter dem Haus hinauszustolpern. Das Bad war hinter dem Kuhstall, ein türloser kleiner Anbau mit einem in die Wand eingelassenen Kupferkessel, in dem Wasser über einem Feuer erhitzt wurde. Toiletten gab es nicht, nur die Felder. Hinter dem Kuhstall befand sich ein Brunnen, dahinter stand eine Reihe Kokospalmen, und dann kamen die Reisfelder. Ein glitzernder Fluß, der träge dem Meer entgegenfloß, und der Duft von Jasmin. Kaffee und Appams um acht, Paes 463 um zehn. Der Schultag, das Geplapper auf Konkani, Kannada und Tulu auf der unbefestigten Straße. Mittagessen, und dann der ewig lange
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