Der Pate von Bombay
Fernsehsendungen.
In diesem Moment rief er an. Mein Guru-ji rief an. Ich sprang aus dem Bett und hatte ihn schon beim zweiten Klingeln dran. »Guru-ji?«
»Komm zu mir«, sagte er.
»Was?«
»Du bist ein folgsamer Schüler gewesen, Beta. Ich habe darüber meditiert, und ich glaube, daß du für ein tieferes Wissen bereit bist. Doch um dich auf diesem Weg, dem Weg zu den Geheimnissen des Parmatma, weiterzubringen, muß ich dich initiieren. Ich bin ab nächste Woche, zu Ganesha Chathurthi 207 , in Bombay. Ich werde zwei Wochen dort sein, ich halte ein großes, sehr wichtiges Yagna 670 ab. Das wichtigste Yagna meines Lebens, um genau zu sein. Danach reise ich für eine Woche nach Singapur. Komm mich dort besuchen.«
Ich war ihm in all den Monaten seit unserem ersten Gespräch nie persönlich begegnet. Ich hatte mit ihm geredet, vielleicht mehr als jeder andere seiner Schüler, und ich hatte ihn im Fernsehen gesehen, doch ich hatte ihm nie von Angesicht zu Angesicht gegenübergesessen. Jetzt lud er mich ein, und ich war wütend. Nicht auf ihn, sondern auf mein Leben, auf mich selbst. Wenn er zu Ehren Ganapatis 205 in Bombay das wichtigste Yagna seines Lebens durchführte, warum sollte ich mich dann nicht dort mit ihm treffen? Warum Singapur, diese Sauberkeitshölle, die mich mehr langweilte als jeder andere Ort auf Erden? Bombay war der Ort, nach dem ich mich sehnte, ja, und es war zwar ein gefährlicher Ort für mich, doch zugleich war es mein Kurukshetra 355 . Und er war mein Guru-ji.
»Ganesh«, fragte Guru-ji leise. »Kannst du kommen?«
In diesem Moment begriff ich schlagartig. Die Wahrheit traf mich mit voller Wucht, fuhr mir in den Magen und stieg als Lachen in meiner Kehle auf. Er stellte mich auf die Probe. Dies war meine letzte Bewährungsprobe. Ich lachte und sagte: »Natürlich, Guru-ji. Ich werde es einrichten. Ich komme zu Ihnen. Nach Singapur.«
»Nach Singapur«, wiederholte er. »Ich erwarte dich dort.«
»Pranaam, Guru-ji.«
Ich beendete das Gespräch, weckte Arvind aus seinem Flitterwöchnerschlaf und begann Pläne zu schmieden. Nur Arvind sowie Bunty in Bombay wußten, wo ich hinfuhr. Die übrigen Jungs dachten, ich führe in einer dringenden Angelegenheit nach Jakarta. Und Guru-ji dachte, ich würde ihn in Singapur besuchen. Doch mein Entschluß stand fest. Ich würde nach Bombay fahren und an seinem Yagna teilnehmen. Alles war bis ins kleinste Detail durchdacht. Ich war mir sicher, daß der gerissene Mr. Kumar mich beobachten ließ. Da ich für Mr. Kumars Organisation ein wichtiger Mann geworden war und mir in Indien von Suleiman Isa und anderen große Gefahr drohte, war es mir nicht gestattet, indischen Boden zu betreten. Zugleich stellte ich auch für Mr. Kumar und seine Leute ein Risiko dar: Wenn ich in Indien festgenommen würde, würde ich unter dem Druck der Polizei womöglich reden, würde berichten, was ich alles für Mr. Kumar getan hatte. Ich wußte um diese tausendarmigen Gefahren, zugleich war ich von Bewunderung für Guru-ji erfüllt, weil er sich mit mir treffen wollte: Ich hatte nichts als mein Leben zu verlieren, er dagegen setzte seine wichtige Arbeit aufs Spiel, seine Position in dieser Welt, seine Verbindungen zu den Kleinen wie den ganz Großen. Wenn er erwischt würde, wenn seine Beziehung zu mir bekannt würde, wäre es vorbei mit seinem guten Namen und seiner unbefleckten Ehre. Ich war ein Gangster, und er war ein Heiliger. Weshalb dieser hohe Einsatz für mein klägliches, niederes Leben? Es gab nur eine Antwort: Er liebte mich. Trotz Arvinds und Buntys Gegrummel über das Risiko - über die Polizei, meine Feinde, Schüsse, die Einwanderungsbehörde - war ich daher unbeschwert. Ich war furchtlos und zuversichtlich in der sanften Umarmung von Guru-jis Liebe. Drei Tage später flog ich mit der Lufthansa von Frankfurt nach Bombay, mit frisch geschorenem Schädel, Stoppelbart, Nickelbrille, einem neuen Paß und einem Koffer voller Babykleidung für eine nicht existierende Nichte. Ich hatte Geschäftspapiere und Rechnungen dabei, meine Deckung war lückenlos, und bei der Einreise stempelte man mir ohne Zögern, ohne Fragen meinen Paß ab, und ich konnte gehen. Ehe ich auch nur begriffen hatte, daß ich wirklich wieder in Bombay war, stand ich draußen in der brütenden Hitze. Ich winkte Bunty über Scharen wartender Angehöriger hinweg zu, und er schrak zusammen, als er mich erkannte. Wir redeten kein Wort miteinander, bis wir den Parkplatz verlassen hatten und an den
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