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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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aufgehaltene Bombe. Ich traute mich nicht, sie anzunehmen, die Bombe einschlagen und mein Denken in den Grundfesten erschüttern zu lassen. Die Sache mit den langen Zyklen der Schöpfung und Zerstörung war ja schön und gut, aber - maderchod! - wie konnte ein Mensch in die Zukunft blicken? Das war ausgeschlossen. Die Zeit floß in einer Richtung, vom Vorher zum Nachher, und es war physikalisch unmöglich, sich in das, was erst noch bevorstand, hineinzukatapultieren.
    Guru-ji hörte mir ruhig zu und sagte: »Du meinst also zu wissen, was die Zeit ist?«
    »Was gibt es da zu wissen, Guru-ji? Die Zeit ist die Zeit. Sie geht von hier nach dort, und wir leben in ihr. Der Weg ist markiert, man kann keine Kehrtwende machen.«
    »Aber weißt du auch, Ganesh, daß die Wissenschaftler Teilchen entdeckt haben, die sich rückwärts durch die Zeit bewegen? Und weißt du, daß die Zeit nicht konstant ist, sondern sich krümmt und ausdehnt und wieder zusammenzieht? Wenn ein Jet schnell über dich hinwegfliegt, altert der Pilot nicht ganz so schnell wie du. Für ihn vergeht die Zeit im Vergleich zu deiner Zeit langsamer.«
    »Nein. Das kann nicht sein.«
    »Aber es ist so. Den Wissenschaftlern ist das schon seit über hundert Jahren bekannt. Sie geben zu, daß ein Lichtteilchen, das vor Milliarden von Jahren beim Urknall entstanden ist, seit damals um keine Sekunde gealtert ist. Das heißt, Ganesh, wenn du dich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen könntest, würdest du immer jung bleiben.«
    Ich verstand kein Wort. Ich verstand weder die Artikel, die er mir mailte, noch die Videos, die er mich anschauen hieß, all dieses Zeug über Einstein, die Relativität, schwarze Löcher und das in sich gekrümmte Universum - ich starrte darauf und sah überhaupt nichts mehr, wie ein kleines Kind, das in die Sonne schaut. Doch er überzeugte mich davon, daß die Welt, die ich zu kennen glaubte, nur eine seichte Illusion und das, was man sah und fühlte, nur ein Traum war, zwar nicht irrelevant, aber auch nicht wesentlich. Und ebenso überzeugte er mich davon, daß manche Menschen, Männer und Frauen und manchmal sogar Kinder, durch die Spirale der Zeit hindurchsehen konnten. »Es ist eine angeborene Fähigkeit«, sagte er. »Horoskope, Handlesen, das alles sind Hilfsmittel, um diese Fähigkeit zu realisieren, sie in Gang zu setzen und zu energetisieren. Wer diese Fähigkeit besitzt und sie trainiert, sie übt, sie stark und geschmeidig macht, kann die Erzählung des Universums lesen und manchmal auch erkennen, wie sie weitergeht, einen Blick auf den weiteren Handlungsablauf erhaschen, denn die Zukunft besteht bereits. Einem wahren Meister bleibt nichts verborgen. Ich selbst besitze eine bescheidene Gabe. Und wenn es dir Unbehagen bereitet, auf einen Jyiotishi 302 zu hören, wenn du das Gefühl hast, in die Klauen eines bösartigen Scharlatans geraten zu sein, dann betrachte mich einfach als einen Freund, der dir hin und wieder mit den besten Absichten einen Rat gibt. Nimm mich nicht zu ernst. Manchmal irre ich mich vielleicht auch, interpretiere meine sporadisch auftauchenden Bilder und Intuitionen falsch. Nimm es für das, was es ist, Ganesh. Vielleicht nützt dir die jeweilige Information etwas. Aber traue ihr nicht, ohne sie noch einmal zu überprüfen, behandele sie wie jede andere Information.«
    Das waren seine Worte. Und dann begann er, mir Fragmente künftiger Geschehnisse zukommen zu lassen. Er tat es nicht jeden Tag, und nicht immer hatte er entscheidende, lebensrettende Informationen für mich. Er sagte voraus, an welchem Tag eine verzögerte Lieferung aus Rotterdam eintreffen werde, und genau dann kam sie. Oder er sagte, einer meiner Jungs werde Ende Juli gesundheitliche Probleme bekommen, und natürlich mußte sich einer von ihnen, dieses Ferkel, einen derartigen Fußpilz heranziehen, daß er schließlich nicht mehr laufen konnte. Guru-ji ging auch fehl: Zweimal sagte er etwas voraus, das nicht eintraf. Aber die anderen zweiundfünfzigmal trafen seine Prophezeiungen ein. Ja, ich zählte mit, ich notierte mir alles. Die Zahlen bewiesen mir, daß das, was er tat, kein Hokuspokus war, daß er mich nicht angelogen hatte. Er besaß eine Gabe. Man mag das glauben oder nicht, aber ich hatte lang genug Widerstand geleistet. Jetzt glaubte ich.
    Das Guru-ji-Handy klingelte. Ich wischte die Hände an meiner Hose ab und griff nach dem Telefon. Ich tippte meinen achtzehnstelligen Verschlüsselungscode ein, und dann sprach er zu mir.
    »Ich

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