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Der Pate von Bombay

Titel: Der Pate von Bombay Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vikram Chandra
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habe an dich gedacht, als ich den heutigen Prava-chan geschrieben habe, Ganesh.«
    »Pranaam 494 , Guru-ji. Ich habe ihn eben gelesen.«
    »Ich weiß.«
    So etwas kam öfter vor. Er wußte, was man gerade getan hatte, was man dachte, was man wollte, sich aber nicht einmal selbst eingestand. Mein früherer felsenfester Unglaube war von dem Blitz und Donner seiner Einblicke zerschmettert worden. Er kannte einen besser, als man sich selbst kannte, er blickte einem ins Leben, kannte dessen Zukunft und Vergangenheit, und dabei urteilte er nie. Das war das erstaunlichste an Guru-ji: Er war ein ausgesprochen sattvischer 567 Mann, begehrte die niederen Dinge des Lebens noch weniger als der Buddha selbst, doch er schaute nie auf diejenigen von uns herab, die noch im Netz der Begierden zappelten. Ich hatte ihn einmal gefragt, ob er sich nicht an meiner Dhanda stieß, an den diversen Geschäften, denen ich nachging, um mir mein Brot zu verdienen. Ich wollte wissen, warum er nicht versuchte, mich von denjenigen Aktivitäten abzubringen, die gemeinhin als kriminell bezeichnet wurden. »Ein Tiger ist als Tiger formidabel«, antwortete er, »aber ein Tiger, der versucht, zu einem vegetarischen Schaf zu werden, ist jämmerlich und abscheulich.« Im Kaliyug gebe es keine einfachen Handlungen, hatte er hinzugefügt, und ein eindeutiger Weg zur Erlösung habe nie existiert.
    »Soso, Guru-ji«, sagte ich jetzt grinsend, »Sie haben an mich gedacht. Und was meinen Sie? Bin ich bereit für das Zölibat?«
    Er lachte sein übliches herrliches Lachen, gurgelnd und entspannt wie das eines Babys im Arm seiner Mutter. »Beta, du bist ein Krieger. Du bist mein Arjun. Du brauchst nicht nur deine Draupadi 181 , sondern auch alles, was dir die Erde auf deinen Wanderungen sonst noch schenkt. Deine Natur zu unterdrücken wäre ein Verbrechen und würde nur dazu führen, daß du zu der Arbeit, die du tun mußt, nicht mehr fähig bist.«
    All das sagte er mir nicht zum ersten Mal, doch ich hörte ihm immer wieder gerne zu. Seine Stimme hatte etwas Kompaktes, Goldenes, sie erzeugte ein wohliges Gefühl in meiner Brust. Ich wurde ruhig, wenn ich ihm zuhörte, deshalb stellte ich ihm manchmal Fragen, nur um ihn reden zu hören. Heute allerdings hatte ich eine echte Frage.
    »Haben Sie sich die Unterlagen angeschaut, Guru-ji?« Ich meinte Horoskop und Lebenslauf der einen Meter achtzig großen Jamila; beides hatte ich ihm nach Dänemark gefaxt. Er hatte natürlich kein Problem damit, daß sie Muslimin war, wollte jedoch einen Blick auf ihre Sterne und ihre Zukunft werfen.
    Ich spürte, daß er lächelte. »Du bist ungeduldig, Ganesh.«
    »Nein, nein, Guru-ji. Ich weiß, wie beschäftigt Sie sind. Es besteht keine Eile.«
    »Ich verstehe dich, Ganesh. Es ist schon eine Weile her. Zu lange.«
    Es war wirklich eine Weile her, daß ich eine Frau gehabt hatte. Von den gewöhnlichen Mädchen, die ich für die Jungs kommen ließ, nahm ich natürlich keines. Für mich schickte Jojo besondere Mädchen, und die ließ ich mir alle erst von Guru-ji absegnen. Aber so schwach war ich nicht, daß ich ihm gegenüber ungeduldig geworden wäre. »Nichts dergleichen, Guru-ji. Diese ist einfach interessanter als die anderen, das ist alles.«
    »Da stimme ich dir zu, Ganesh. Ihre Sterne, Zeichen und Linien sind wirklich sehr interessant. Diese Frau wird es weit bringen. Sie ist intelligent, vor allem aber hat sie Glück. Jedesmal wenn sie etwas braucht, wird jemand in ihr Leben treten, der es ihr geben kann. Ihr Weg wird ihr geebnet werden.«
    »Aber bringt sie mir Glück?«
    »Da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Ich habe eure Horoskope verglichen, und zum größten Teil passen sie zusammen. Aber ich kann noch kein klares Bild sehen. Irgend etwas muß da erst noch geschehen.«
    »Keine Eile, Guru-ji«, sagte ich. »Kein Problem.«
    Premierminister und CEOs standen Schlange, um seinen Rat einzuholen, doch er nahm sich Zeit für mich. Er dachte über mich nach, ich war ihm wichtig. Manchmal, wenn mir das bewußt wurde, hatte ich einen richtigen Kloß im Hals, so auch jetzt. Er hörte meine gefühlsgeladene Stimme und fragte sanft: »Und, was gibt's Neues?« Er meinte das fortlaufende Drama meiner Jungs und ihres Lebens. Er hörte gern von ihnen, von ihren Vergnügungen und Leidenschaften, ja selbst von den Problemen ihrer Mütter und Schwestern oder dem Prozeß, den ein Onkel gegen seinen Bruder angestrengt hatte. Er war ein Meister, doch er interessierte sich für diese

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