Der Pate von Bombay
Augen groß aussehen sollen, zieht man den unteren Lidstrich an der Außenseite etwas nach oben. Man sollte einen weichen Stift nehmen, den man verwischen kann.«
Sie sprach laut, über die Diskomusik mit ihrem auftrumpfenden Beat hinweg, und artikulierte dabei sehr deutlich. Sie übte sich in klarer Aussprache. Sie vergewisserte sich mit einem Blick, ob ich ihr zuhörte, und ich lächelte sie an. Ich war angenehm müde, denn ich hatte sie an diesem Abend zweimal genommen, einmal auf dem Boden. Ich hatte ihre Ein-Meter-achtzig-Geschmeidigkeit und glatte Haut, Jugend und Gefügigkeit bis in den letzten Winkel erkundet. »Deine Augen sehen riesig aus«, sagte ich.
»So, und jetzt die Wangenknochen. Dafür verwendet man Rouge. Ich mag Bronze Blitz besonders gern. Siehst du? Als nächstes muß man sich entscheiden: Will man eher den harten oder den weichen Look? Wohin geht man, was für eine Wirkung will man erzielen? Wenn man im Scheinwerferlicht stehen wird, vor klickenden Kameras, dann nimmt man den harten Look, um auf den Bildern gut zur Geltung zu kommen. Aber wir gehen nirgendshin. Also den weichen Look. Dafür verwende ich gern diesen MAC-Lippenkonturstift, das ist eine deutsche Marke. Als Farbe nehme ich heute Aubergine. Man darf wirklich nur die Konturen der Lippen nachziehen, wenn man ihn für die gesamte Lippenoberfläche verwenden würde, wäre es zu plump. Für die Lippen selbst benutze ich Lippenblush.«
»Sehr clever«, sagte ich. »Was bist du für ein kluges Mädchen, Jamila.« Sie schenkte mir nicht einmal den Anflug eines Lächelns. Ihre Arbeit nahm sie so ernst wie ein Pandit. Oder vielmehr wie ein Mullah.
»Man gibt etwas Blush auf den Finger und verteilt es auf den Lippen. So, der Mund wäre fertig. Jetzt die Wimperntusche.« Um die Wimperntusche aufzutragen, öffnete sie den Mund etwas weiter. Das fiel mir jedesmal auf, wenn ich ihr beim Schminken zusah - es ist mir bei allen Frauen aufgefallen, mit denen ich zusammen war: Sie bearbeiteten ihre Wimpern, aber sie rissen den Mund auf. Soll einer die Frauen verstehen. »Um sich die Wimpern zu tuschen, setzt man das Bürstchen am Wimpernansatz an, hält einen Augenblick inne, und wenn man es nach oben zieht, dreht man es ein wenig und bewegt es leicht hin und her. Siehst du? Innehalten, drehen, hin und her bewegen. Und was kommt dabei heraus? Schöne dichte Wimpern. Okay, fast haben wir's. Aber noch nicht ganz. Das große Geheimnis lautet: Sanfte Übergänge! Alles muß sanft ineinander übergehen, ohne sichtbare Ränder.«
Sie verwischte die Ränder. Ich sah ihr zu.
»Mal sehen. Was noch? Ach ja, für den sinnlichen Look nehme ich heute noch etwas Lip Stain. Das gibt einen verdunkelnden Effekt, so ein bißchen rauchig. Ich nehme einen violetten MAC Lip Stain. Man sollte ihn ein bißchen verteilen. Wenn man keinen Pinsel hat, kann man auch das Ende eines Bleistifts nehmen. So.« Sie drehte sich mit ausgebreiteten Armen zu mir um. »Fertig. Siehst du? Das Werk ist vollbracht.«
Das war es wahrhaftig. Sie war verwandelt - aus einem elastischen Stück unpolierten Lucknower Stahls war eine schimmernde, schwerelose Lichtgarbe geworden. Sie stand auf, erhob sich zu ihrer vollen Größe und legte sich einen blauen Morgenrock über die zarten Schultern. Darunter trug sie nur einen schwarzen Stringtanga und schmale Pumps. Ich hatte Jojo eine astronomische Summe für diese hochgewachsene Jungfrau bezahlt und Jamila selbst auch noch einmal zehn Lakhs gegeben. Und jedesmal wenn sie so vor mir stand, groß und aufrecht, dachte ich: Die Ausgabe hat sich gelohnt. Sie schritt hüftschwingend vor der Singapurer Skyline quer durch die ganze Suite. Am Ende des Teppichs nahm sie eine Laufstegpose ein und bedachte mich mit einem langen Blick über die Schulter. Ich erhaschte einen flüchtigen Eindruck von einer harten, klar konturierten Brustwarze. In diesem Moment - im Hintergrund das helle Blau, davor sie, dunkel und golden - hätten wir im Fernsehen sein können, bei Fashion TV Star TV oder Zee TV Sie kam mit demselben Gang wieder auf mich zu, und ich spürte dieses Ziehen in der Brust, das durch den Anblick reicher, glanzvoller, schöner Frauen ausgelöst wird: eine Mischung aus Sehnsucht und Hoffnungslosigkeit, die man verspürt, wenn man jemanden sieht, der in himmlischen Sphären schwebt. Der entscheidende Unterschied war hier allerdings, daß ich diese Frau in Sekundenschnelle vor mir auf den Knien haben konnte. Sie ist mein, dachte ich, mein. Und so empfand
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