Der Pate von Bombay
Auch an den Seiten ihrer Oberschenkel sowie dem Bereich direkt unter dem Hintern war Fett abgesaugt worden. Ebenso in der Taille, an den Oberarmen und unter dem Kinn. In den Brüsten hatte sie neue, anatomisch geformte Kochsalzimplantate, die wir vorher begutachtet und betastet und deren Für und Wider wir ausführlich erörtert hatten. Das alles war in Dr. Langston Lees Haus der Wunder auf dem Orchard Boulevard geschehen. Dr. Lee zeichnete sich durch einen exzellenten Ruf, eine saubere, hochmoderne Klinik und horrende Preise aus. Und er war wirklich ein Meister, dieser Mann mit den kleinen Augen und dem seltsamen Akzent, ein großer Körperzauberer, der das Fleisch verschieben und verwandeln, es verschwinden und wieder zum Vorschein kommen lassen konnte. Jamila war im Rahmen ihrer ausgiebigen weltweiten Recherchen auf ihn gestoßen, und er hatte uns nicht enttäuscht. Selbst ich, der ich ein gedankenloser Konsument von Körpern gewesen war, ein zumeist unkritischer Chodu, der zwar wußte, was ihm gefiel, nicht aber, warum, hatte aus den Diskussionen der beiden gelernt. Ich verstand jetzt die Sprache der Schönheit, ihre Grammatik und sublime Syntax. Wenn ich diesen beiden Poeten zuhörte, begriff ich, daß ein wohlkomponierter Gesang aus Kurven, Aussparungen und Textur mühelos selbst ein versteinertes Herz betören konnte. Diese Magie hatten die beiden gemeinsam erzeugt, der Arzt und seine Patientin. Gegen den raffinierten Zauber, den Jamila nun ausübte, gab es keinen Schutz.
Der ganze Prozeß hatte bereits eine Menge Geld und unvorstellbare Schmerzen gekostet. Ich hatte Jamila nie in der Klinik besucht, aber ich hatte nach den Operationen Zeit mit ihr in der Wohnung verbracht. Sie hatte nie gestöhnt oder geklagt, aber ich wußte, wie mühsam es war, auch nur vom Bett zur Toilette zu gelangen, wenn das Gewebe an den Oberschenkeln von einer sondierenden Hohlnadel attackiert und aufgerissen worden war. Ich sah an dem Schweiß auf ihrer Stirn, welche Strapazen sie erlitt, sah es an ihren Blutergüssen, den gelbgrünen Striemen auf ihren Brüsten, spürte es, wenn sie die Bettdecke umklammerte. Üble Schmerzen, viele Tage lang. Und es war noch nicht vorbei. Als nächstes war ihr Gesicht an der Reihe. Dr. Lee würde ihr die Wangen höhlen und Fett in die Lippen spritzen. Er würde ihre Nase korrigieren, sie durch ein Implantat markanter machen. Den Haaransatz würde er erhöhen. Und auch ins Kinn würde er ein Implantat einsetzen, damit es länger und kräftiger wurde, ein passendes Gegengewicht zu ihrer Stirn. Er würde Jamila zu einem harmonischen, ausgewogenen, makellosen Geschöpf machen. Sie würde - so ihr Plan - perfekt sein.
»Wie hast du eigentlich angefangen?« wollte ich wissen.
»Saab?« fragte sie nach. Es kam wie aus der Pistole geschossen, und sie klang überhaupt nicht schläfrig oder benommen. Aber meine Frage war zugegebenermaßen etwas vage gewesen.
»Wann ist dir klar geworden, daß du ein Star werden willst? Wann hast du beschlossen, nach Bombay zu gehen? Und wie hast du es hingekriegt?« Ihr Atem veränderte sich nicht, und in ihrem Körper war keine Regung zu spüren, sie war hellwach.
»Das ist eine langweilige Provinzgeschichte, Saab.«
»Erzähl sie mir.«
»Ja, Saab.« Sie war ein braves Mädchen. Sie nannte mich immer »Saab«, war schweigsam und gehorchte. Und so begann sie nun mit ruhiger Stimme zu erzählen. »Ich war sechs, als ich das erste Mal echte Models gesehen habe.«
»Ja«, sagte ich. Und während sie weitererzählte, gab ich immer mal wieder einen bestätigenden Laut von mir oder sagte »ja«, um ihr zu zeigen, daß ich zuhörte. Sie fuhr fort.
»Also, ich hatte natürlich schon vorher welche gesehen, in Zeitschriften und Zeitungen, und auch Schauspielerinnen in Filmen, aber mit Sechs habe ich sie im wahren Leben gesehen, bei uns in Lucknow. Meine Mutter und ich hatten meinen Chacha besucht, und auf dem Rückweg sind wir durch Hazratganj gegangen. Die Models kamen aus einem Kaufhaus, sie waren zu der großen Eröffnung nach Hazratganj gekommen. Sie traten aus dem Kaufhaus, überquerten den Bürgersteig und stiegen in einen klimatisierten Bus. Das war schon alles, es dauerte eine halbe oder vielleicht auch eine Minute. Und ich stand zwischen meiner Mutter und irgendeinem Mann und schaute zu ihnen hoch. Sie gingen so dicht an mir vorbei, daß ich leicht einen Rock, eine Hand hätte berühren können. Doch ich tat es nicht, ich hielt mich bloß an der Burka meiner Mutter
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